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https://kulturserver-nrw.de/de_DE/neue-musik-in-nrw-ausgabe-dezember-2022Dezember 2022
Gewesen:
NOW!-Festival in Essen
Angekündigt:
Nopera! Obsessions
in Wuppertal – Ensemble BRuCH in Köln und Wuppertal –
Musikafabrik mit Xenakis in Bonn u.v.a.m.
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[NOW!-Festival in Essen]
Das
NOW!-Festival in Essen, das vom 27.10. bis 6.11.
bereits zum 12. Mal
stattfand, widmete sich in diesem Jahr unter dem Motto
Horizonte
außereuropäischen Entwicklungen, wobei der Blick vor
allem auf den
fernen Osten gerichtet war. Die musikalischen
Verbindungen zwischen
Asien und Europa sind vielfältig und komplex, standen
aber lange
(und stehen teilweise noch immer) unter
kolonialistischen Vorzeichen.
In vielen Musikschulen Japans und Koreas dominieren
bis heute die
europäischen Klassiker den Unterricht. Younghi
Pagh-Paan
und Toshio
Hosokawa,
zwei der bekanntesten Komponisten aus dieser Region,
beide in Essen
anwesend, berichten, dass die eigene Musik lange Zeit
geradezu
verpönt war und sie erst von Europa aus (oft angeregt
durch ihre
europäischen Kompositionslehrer) Interesse an ihren
musikalischen
Wurzeln entwickelten. Umgekehrt dienten asiatische
Instrumente und
Tonsysteme in Europa häufig als exotisches Futter,
wobei der Grad
zwischen wertschätzender Aufgeschlossenheit und
kultureller
Aneignung schmal ist. Heute sind wir in dieser
Hinsicht sensibler und
stellen fest, dass es verdammt schwer ist, aus dieser
Nummer wieder
herauszukommen. Einfache Antworten sind nicht zu
haben.
Pagh-Paan
und Hosokawa haben sich intensiv mit den
musikalischen, aber auch
philosophischen Traditionen ihrer jeweiligen Heimat
befasst und
diese in ihr eigenes Komponieren einfließen lassen.
Doch ihre Werke
sind in der (westlichen) Neue-Musik-Szene verankert
und werden in
diesem Kontext rezipiert. Dies zeigen eindrucksvoll
ihre großen
Orchesterkompositionen, von denen zwei in Essen zu
Gehör kamen. Im
Konzert mit den Duisburger Philharmonikern unter der
Leitung von
Jonathan
Stockhammer
erklang Uzu.
Inspiriert von der japanischen Mundorgel Sho (die
jedoch nicht zum
Einsatz kommt) transformiert Hosokawa hier das
Orchester in einen
riesigen Klangkörper, der ein- und ausatmet, bebt,
sich aufbäumt
und schließlich einen den ganzen Raum erfassenden
Strudel erzeugt.
Unmittelbar von musikalischen Kindheitseindrücken
ihrer Heimat ließ
sich Malika
Kishino
anregen. Ihr Vater ist buddhistischer Priester,
weshalb ihr die
Klänge der Hyoshigi (Klanghölzer) und der Rin
(japanische
Schalenglocken) aus rituellen Kontexten vertraut sind.
Dies hinderte
sie lange daran, sie durch die Verwendung in einem
schnöden
Orchesterkonzert zu profanieren, doch in Percussion
Concert
ist sie diesen Weg gegangen. Die Schlaginstrumente,
virtuos gespielt
von Alexej
Gerassimez,
dominieren mit ihren unterschiedlichen Klang- (Holz
und Metall) und
Resonanzeigenschaften das Geschehen, werden vom
Schlagwerk des
Orchesters aufgegriffen und weitergesponnen und von
den übrigen
Instrumenten wie von einer Aura umgeben.
Die
Bochumer Symphoniker brachten unter dem Dirigat von Joongbae
Jee
Pagh-Paans NIM
zu Gehör, ein hochdramatisches aufwühlendes Werk, in
dem sie
angeregt von einem Gedicht des Koreaners Mun
Byung-Lan, der am blutig
niedergeschlagenen Volksaufstand in Kwanju im Mai 1980
beteiligt war,
dem Schmerz der geschundenen, gequälten Erde
nachspürt. Als
Uraufführung erklang ein neues Orchesterwerk von Jagyeong
Ryu,
das schon im Titel Aus
zwei Welten Bezug
nimmt auf ihre verschiedenen kulturellen
Hintergründe. Ryu erforscht
Töne und ihre Resonanzen, oftmals zarte huschende
und sirrende
Klänge, die sich aber auch in plötzliche Turbulenzen
stürzen
können. Dabei geht es ihr nicht in erster Linie um
Kontrolle und
Stringenz, sondern um Zufallsklänge und brüchige
Verläufe.
Nach
Younghi Pagh-Paan ist inzwischen auch ein
Kompositionswettbewerb
benannt, der vom koreanischen Kulturzentrum in
Berlin ausgerichtet
wird. Dass von den fünf in Essen vorgestellten
Werken vier von
koreanischen Komponistinnen stammen, muss allerdings
nicht zwingend
als Zeichen der Emanzipation gewertet werden (im Global
Gender Gap Index 2022
befindet sich Südkorea weit abgeschlagen auf Platz
99 von 146). Wie
mir berichtet wurde, gilt die Beschäftigung mit
klassischer Musik in
Korea als unschädlicher Zeitvertreib für höhere
Töchter, während
die Söhne für Wichtigeres vorgesehen sind.
Interessant am
Wettbewerbskonzept ist die Einbeziehung alter
koreanischer
Instrumente wie Daeguem (Bambusflöte), Gayageum
(Wölbbrettzither)
oder Piri (Doppelrohrblattinstrument), doch sowohl
in Klang als auch
Form bewegen sich die Stücke im Rahmen der uns
vertrauten Neuen
Musik. Aber warum auch nicht: Zu erwarten, dass
Komponierende aus
anderen Kulturen uns gefälligst mit exotischem
Material zu versorgen
haben, ist ebenfalls eine eurozentristische
Sichtweise. Recht machen
können sie es sowie nie, mal ist ihre Musik zu
assimiliert, mal zu
folkloristisch. Letztlich bleibt nichts anderes
übrig, als auf die
einzelnen Werke zu hören, und da gab es in Essen
noch einiges zu
entdecken.
Der
Italiener Riccardo
Nova
hat sich in die Vielschichtigkeit der südindischen
Musik vertieft
und mit Mahābhārata
ein von dem berühmten indischen Epos inspiriertes
Werk vorgelegt,
das das Ensemble
Musikfabrik
mit drei indischen Musikern und Musikerinnen
zusammenführt
(Varijashree
Venugopal
– Stimme und indische Flöte, Guru
Prasanna
– Rahmentrommel Kanjira, B. C. Manjunath –
doppelbespannte
Mridangam-Trommel). Der Klang zweier großer
Meeresmuscheln mündet
in ein changierendes, schillerndes Klangfeld, das
von Gesängen und
Rezitationen, von komplexen mal sich festsetzenden,
mal sich
beschleunigenden Rhythmen belebt wird und sich
schließlich zu einem
überschäumenden Tobuwabohu auswächst. Den
rhythmischen und tonalen
Finessen, die – wie der Dirigent Peter Rundel
schilderte – nicht
leicht zu bewältigen waren, konnte ich sicher nicht
gerecht werden.
Für mein Empfinden war zudem etwas zu viel
Elektronik im Einsatz,
aber es machte Spaß sich diesem Brodeln auszusetzen.
Von
ganz anderem Charakter war das Zusammentreffen des
Arditti Quartets
mit Ryoko
Aoki.
Aoki hat das einst Männern vorbehaltene Nō-Theater
nicht nur als Frau aufgemischt sondern auch durch
die Verbindung der
Nō-Reziation
mit zeitgenössischer Musik, wodurch bereits mehr als
50 Werke
entstanden sind. In der Hagoromo-Suite
von Noriko Baba treffen flirrende Streicherklänge im
höchsten
Register auf Aokis markante, in strengem Duktus
deklamierende Stimme.
Doch unterhalb dieser kühlen, messerscharfen
Präzision in Haltung
und Ton entsteht eine fragile und instabile
Atmosphäre, die sich in
kurzen expressiven Momenten Bahn bricht. Auch in dem
Werk Hannya
der rumänischen Komponistin Diana
Rotaru,
ebenfalls für Nō-Stimme
und Streichquartett, dominieren verschattete,
tastende Klänge, die
an Dichte und Tiefe gewinnen und schließlich zart
entgleiten. Sowohl
Nō-Theater
als auch westliches Streichquartett stehen für
Tradition,
Konzentration und seismographische Sensibilität und
erweisen sich
als hervorragende Kombination.
Eine
besonders lange Geschichte hat die europäische
Faszination für
indonesische Gamelanmusik, der bereits Debussy
erlag. In Essen waren
das Kyai Fatahillah Ensemble und der Komponist Dieter
Mack
zu Gast, der zu den führenden europäischen Kennern
des Gamelan
zählt. In seinem neuesten Werk The
Time after – reset
ergänzt er das Gamelaninstrumentarium mit westlichem
Schlagwerk (Max
Riefer) und Zuspielungen. Vor allem aber erkundet er
eine ganz neue
Klangwelt, die nicht von schwelgenden Rhythmen
sondern von lang
resonierenden, dunkel vibrierenden Tönen bestimmt
wird. Es entsteht
eine geheimnisvolle, schwebende Atmosphäre, die
durch die auf der
Kombination verschiedener traditioneller Stimmungen
basierende
Mikrotonaliät noch verstärkt wird.
Nach
soviel Asien führte ein kleiner Abstecher nach
Afrika: Lukas
Ligeti
war mit seinem Ensemble Burkina Electric angereist,
eine Truppe die
mit ihrem Afrikapop normalerweise auf
Weltmusikfestivals zu Hause
ist. Auf sich gestellt verbreiteten sie immerhin
einen gewissen
Groove, aber die Begegnung mit dem Ensemble
BRuCH
ging gründlich schief. Die beiden musikalischen
Welten hatten
einander wenig zu sagen und kamen mit doppelt
angezogener Handbremse
kaum vom Fleck. Das ist ausgesprochen schade, da
Afrika in mehrfacher
Hinsicht immer noch unterbelichtet ist. Während wir
Amerika und
Asien inzwischen zugestehen, dass es dort
eigenständige Hochkulturen
gegeben hat und gibt, tun wir uns in Bezug auf
Afrika weiterhin
schwer. György Ligeti, Lukas Ligetis Vater, war
fasziniert von
afrikanischer Polyrhythmik, aber davon ist viel zu
wenig hier
angekommen und erst recht nicht angemessen gewürdigt
worden. Das
Ergebnis ist, dass ein weißer Typ als Leader of the
Pack das Wort
führt und im Hintergrund an ein paar
Schlaginstrumenten
herumklöppelt, während vorne People of Color eine
farbenfrohe Show
abliefern – das Ganze so gut abgemischt, dass es
unter dem Label
Weltmusik alle glücklich macht und keinem weh tut.
Das kann noch
nicht alles gewesen sein und ist vielleicht ein
Anlass, demnächst
afrikanische Musik mehr in den Fokus zu nehmen.
[Termine im Dezember]
Köln
In der Kunststation Sankt Peter stehen Werke von Isang Yun und Toshio Hosokawa am 2.12., Musik von Jesús Torres u.a. am 7.12. sowie Lunchkonzerte am 3.12. und 10.12. auf dem Programm und am 31.12. kann man sich wie üblich beim Silvesterkonzert auf's neue Jahr einstimmen. In der Alten Feuerwache erwarten uns das Trio f:t am 1.12., das Trio Abstract am 3.12. und das Ensemble BRuCH mit seinem Programm stottern, stammeln, zagen am 14.12. Das Ensemble Musikfabrik lädt am 12.12. zum Montagskonzert und kommt am 16.12. anlässlich eines Kooperationsprojekts mit dem Institut für Neue Musik in die Musikhochschule. Dort findet am 8.12. ein weiteres Neue-Musik-Konzert mit Studierenden der Klasse Prof. Susanne Blumenthal statt. Die Kunsthochschule für Medien präsentiert im Rahmen der Reihe 'soundings' am 1.12. Leonhard Huhn und Christian Lorenzen, das Asasello Quartett ist am 2.12. im MAK zu Gast, im F:lmhaus spielt das Scott Fields Ensemble am 3.12. The Songs of Steve Dalachinsky und im nächsten 'Musik der Zeit'-Konzert am 9.12. hebt das WDR Sinfonieorchester neue Werke von York Höller und Malte Giesen aus der Taufe. Ebenfalls am 9.12. bringt electronic ID: im Filmforum NRW Transfleisch, ein Musiktheater von Sergej Maingardt, zur Aufführung, in der Friedenskirche treten am 11.12. unter dem Motto Nova Archaica mittelalterliche und neue Musik in einen Dialog und am 29.12. begegnen sich das Xenon Saxophone Quartett und Falk Griefenhagen beim Chamber Remix.
Fast tägliche Konzerte sind im Loft zu erleben und weitere Termine und Infos finden sich bei kgnm (z.B. eine Kontrabass-Performance am 3.12. und das Abschlusskonzert der Containerklangreihe am 7.12.), Musik in Köln sowie Veranstaltungen mit Jazz und improvisierter Musik bei Jazzstadt Köln.Ruhrgebiet
Der Umlandkalender kündigt das Essener Noise Dub Ensemble am 1.12. in Bochum, Knyns mit Gunda Gottschald und Simon Camatta am 2.12. in Essen und die Society For Putting Things On Top Of Other Things am 9.12. ebenfalls in Essen an.
Im Kunstmuseum Bochum wird am 2.12. die Reihe 'Klangbilder' mit dem Trio Gratkowski / Reid / Blume fortgesetzt.
Tomeka Reid, improviser in residence in Moers, ist auch beim Auftritt der Großformation The Dorf am 15.12. im Dortmunder Domicil dabei. Das mex kündigt die Society For Putting Things On Top Of Other Things am 8.12. und gleich drei Acts am 16.12. an.
Im Lokal Harmonie in Duisburg stehen u.a. das Duo Lucatelli / Erel am 1.12., Interstellar 227 am 4.12. und Julia Mihály am 19.12. auf der Bühne.
Das ICEM (Institut für Computermusik und Elektronische Medien) der Folkwang Universität Essen lädt am 1. und 22.12. zur Tape Session und vom 15. bis 17.12. findet der 15. Kontrabass-Marathon statt mit einem besonderen Blick auf Kancheli. Das Ensemble S201 startet am 10.12. mit seiner neuen dreiteiligen Konzertreihe 'S201 and friends' und hat zum Auftakt den Noise-Künstler Theo Voerste eingeladen.
Düsseldorf
Das ART Ensemble NRW präsentiert am 3.12. im Palais Wittgenstein die Ergebnisse seines Kompositionswettbewerbs. Anschließend werden die Preisträger bzw. Preisträgerinnen von Publikum und Ensemble ausgewählt. Der Bratchist Nils Mönkemeyer und sein Klavierpartner William Youn spielen am 11.12. im Schumann-Saal Morton Feldmans The Viola in My Life III .
Sonstwo
Die Aachener Gesellschaft für zeitgenössische Musik kündigt neben aktuellem Jazz am 3. und 10.12. ein Konzert zum Gedenken an die Reichspogromnacht mit dem Neue Musik Ensemble Aachen am 11.12. an.
Die Bielefelder Cooperativa Neue Musik lädt zum Jour fixe mit dem Perkussionisten Sidney Jaffe am 5.12. sowie zu einem elektrischen Abend mit dem Cooperative Ensemble am 9.12. ein.
In der Bonner Trinitatiskirche trifft am 2.12. Musik von Denhoff, Ustwolskaja und Schostakowitsch auf Literatur. Die In Situ Art Society veranstaltet regelmäßige Konzerte im Dialograum Kreuzung An St. Helena. Im Dezember findet anlässlich des 100. Geburtstages von Iannis Xenakis ein dreitägiges Festival statt, das vom Ensemble Musikfabrik am 9.12. in der Bundeskunsthalle eröffnet wird.
Das Krefelder Theater am Marienplatz spielt immer freitags um 22 Uhr ein monatlich wechselndes Programm. Im Dezember kommt Stahl-Werk zum Einsatz.
In Moers laufen bereits die Vorbereitungen für das Pfingstfestival. Bis es soweit ist kann man Tomeka Reid, zurzeit improviser in residence, lauschen.
In der Black Box in Münster steht improvisierte Musik am 3., 4. und 9.12. auf dem Programm und am 10.12. kommen in der Musikhochschule Werke von Winfried Michel zur Aufführung. Im Pumpenhaus wird am 7.12. die Society For Putting Things On Top Of Other Things erwartet.
Christiane Oelze und das E-Mex-Ensemble widmen sich am 20.12. im Kultur- und Medienzentrum Pulheim dem Fluchtpunkt Asien.
Das Studio für Neue Musik der Universität Siegen lädt am 1.12. zu einem Orgelkonzert in die Nicolaikirche.
Am 3.12. ist im Lichtturm in Solingen die Soundinstallation Ein Mensch ist keine Fackel zu erleben.
In der Wuppertaler Oper hat am 3.12. das Musiktheater Obsessions Premiere. Für das von NOperas! geförderte Projekt hat das finnische Theaterkollektiv Oblivia mit der chinesischen Komponistin Yiran Zhao zusammengearbeitet. Am 7.12. ist das Ensemble BRuCH mit seinem Programm stottern, stammeln, zagen im Wuppertaler Ableger der Kölner Musikhochschule zu Gast und das Sinfonieorchester Wuppertal bringt am 11. und 12.12. zusammen mit Martin Grubinger Daníel Bjarnasons Percussion-Konzert zur deutschen Erstaufführung. Im ort stehen der cine:ort am 8.12., Neue Musik für Klaviertrio am 9.12., akustische Kunst von Joachim Zoepf am 15.12. und die taiwanesische Schlagzeugerin Shiau-Shiuan Hung am 16.12. auf dem Programm.
Termine mit improvisierter Musik finden sich bei NRWJazz.
Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW
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