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August 2024
Gewesen:
Musikfabrik
mit Sarah Nemtsov beim WDR – Wandelweiser-Klangraum
Düsseldorf
Angekündigt:
Brückenmusik und Shalom Musik in Köln – Auftakt
Ruhrtriennale
u.v.a.m.
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[Musikfabrik mit Sarah Nemtsov beim WDR]
Am
29.6.
brachte die Musikfabrik
in ihrer Reihe 'Musikfabrik im WDR' Sarah
Nemtsovs Zyklus Ma'alot zur Aufführung, eine
Trilogie,
die aus den Werken Chesed, Keter sowie dem
frisch aus
der Taufe gehobenen Malchut besteht. Nemtsovs
Komponieren ist
nach eigener Aussage eng mit ihrer Person verbunden und dazu
gehört
auch ihre jüdische Identität. Ihre Vorfahren flohen vor der
Nazi-Diktatur nach Argentinien, kamen jedoch schon bald nach
Kriegsende nach Deutschland zurück, wo 1949 Nemtsovs Mutter
geboren
wurde. Diese, die Malerin und Illustratorin Elisabeth
Naomi Reuter, war 1992 Gründungsmitglied der Jüdischen
Gemeinde
zu Oldenburg, wo Sarah Nemtsov (*1980) bald darauf als eine der
ersten ihre Bat Mizwa feierte. Nemtsov hat sich wiederholt mit
traditioneller jüdischer Musik aber mehr noch mit den
spirituellen
Grundlagen des Judentums und ganz besonders mit der Kabbala, der
jüdischen Mystik, befasst – so auch in ihrer neuen Trilogie. Die
Kabbala kennt das Symbol des Lebensbaums, dessen zehn Sphären
(Sephirot) die Aspekte Gottes und seine Beziehung zur Schöpfung
abbilden. Während Keter (Krone) die Spitze des
Lebensbaums
darstellt und damit in größter Nähe zu Gott steht, symbolisiert
Malchut (Königreich) am entgegengesetzten Ende den
Übergang
zur materiellen Welt.
Chesed,
benannt nach der vierten Sephira, die Güte und Barmherzigkeit
repräsentiert, bildet den ersten Teil des Zyklus und wurde 2022
als
Auftragswerk der Musikfabrik uraufgeführt. Die sechs Instrumente
werden elektronisch verstärkt und durch diverse Objekte ergänzt.
Vor allem der Klang der Violine wirkt so wie von einer Aura
umhüllt
und wird von einem Grollen und Brodeln grundiert, das sich
zeitweise
zu bedrohlichen Ausbrüchen und brutalen Attacken verdichtet.
Beruhigungen und Aufhellungen, zum Beispiel durch eine
Oboenpassage,
können sich nicht durchsetzen. Es entsteht eine Atmosphäre des
Düsteren und Bedrohlichen, die auch die anderen Teile der
Trilogie
prägt. Doch Chesed ist in besonderer Weise ein Moment
der
Trauer eingeschrieben: Der Pianist Ulrich Löffler, der intensiv
am
Entstehungsprozess beteiligt war, verstarb kurz vor der
Uraufführung.
Das Stück wurde im Andenken an ihn geschrieben und ist seiner
Lebensgefährtin Hannah Weirich gewidmet.
Keter,
das schon 2020 konzipiert, dessen Uraufführung jedoch durch
Corona
verzögert wurde, wird durch seine ungewöhnliche Besetzung
geprägt,
bei der eine verstimmte Harfe, ein präpariertes Klavier und eine
verstärkte Bassklarinette durch Viola und Violoncello ergänzt
werden. Die Harfe schlägt kantig-scharfe Kerben, die Streicher
kreisen geräuschhaft um sich selbst, es entsteht der Eindruck
vergeblicher Ausbruchsversuche, die sich schließlich erschöpfen.
Im
uraufgeführten dritten Teil Machut überträgt
Nemtsov diese Klangsprache auf das große Ensemble. Den Auftakt
markiert ein scharfer Riss. Das Werk ist von einer hohen
Energiedichte geprägt; in wiederholten Aufwallungen, die sich
zeitweise zu schneidend-hohen Spitzen auftürmen, scheint die
Musik
gegen imaginäre Hindernisse anzurennen und sich zu
verausgaben. Aber
auch in der Erschöpfung und scheinbaren Ruhe bleibt die
Bedrohung
gegenwärtig – Aggression und Gewalt müssen, wie Nemtsov
betont,
nicht immer laut sein. Zum Ende hin glaubt man melodiöse
Anflüge zu
erhaschen, doch sie bleiben ungreifbar, wie Phantome, denen
man nicht
trauen kann.
Es
ist kaum möglich, beim Hören von Nemtsovs Musik nicht daran zu
denken, dass jüdische Menschen, die nie wirklich sicher waren,
einer
erneut wachsenden Bedrohung ausgesetzt sind, wie man sie
gerade in
Deutschland – obwohl schon immer wie selbstverständlich vor
jeder
Synagoge ein Streifenwagen postiert ist – lange nicht
wahrhaben
wollte.
Der
Name des Gesamtzyklus Ma'alot greift das Bild der Stufen
auf
und bezieht sich auf die Psalmen 120 bis 134, die als
Stufenlieder
bezeichnet werden, da sie bei den Pilgerfesten auf dem Weg nach
Jerusalem und vermutlich einst auf den Stufen des Tempels
gesungen
wurden. Interessanterweise ist Ma'alot
auch der Name eines Kunstwerks von Dani Karavan, das dieser ganz
in
der Nähe zwischen Dom und Rhein gestaltet hat und das die
Platzgestaltung auf dem Dach der Kölner Philharmonie
einschließt.
Karavan will dieses zwar nicht explizit als Holocaust-Mahnmal
verstanden wissen, doch bestimmte Elemente (das an einen
Wachturm
erinnernde zentrale Monument, die Verwendung von
Eisenbahnschienen)
rufen fast automatisch entsprechende Assoziationen auf. Bei
einer
Internetsuche stößt man zudem sehr schnell auf das sogenannte
Ma'alot-Massaker
(benannt nach dem Tatort), bei dem 1974 31 Menschen bei einem
Angriff
palästinensischer Terroristen auf eine jüdische Schule im Norden
Israels ermordet wurden.
Musik,
Kunstwerk und historisches Ereignis sind nur zufällig durch den
Namen verbunden und doch ist es kein Zufall, dass sich immer
wieder
ein verhängnisvoller Kreis schließt und die fortwährende
Gefährdung jüdischen Lebens bewusst macht.
[Wandelweiser-Klangraum in Düsseldorf]
Wie
ein Refugium wirken jedes Jahr im Sommer die beiden
Wandelweiserwochen,
zu denen Antoine
Beuger in die Düsseldorfer Jazzschmiede einlädt. Während
die
Welt immer unberechenbarer wird, herrscht hier Vertrautheit,
während
man sich anderswo ständig neu erfinden will, bleibt man beim
Bewährten, während es draußen immer lauter und schriller wird,
dominieren hier die leisen Töne. Das erscheint auf den ersten
Blick
weltabgewandt, doch wie gerade das Behutsame, Lauschende,
Tastende
neue Wege eröffnet, schildert eindrücklich Emily Dickinson in
ihrem
Gedicht We
grow accustomed to the Dark. Sie beschreibt den Weg
vom Licht
in die Nacht, vom Hellen ins Dunkle, eine Dunkelheit, die nicht
nur
das Außen sondern auch das Innen umfasst (Evenings
of the Brain), unsere Schritte sind zunächst unsicher,
die
letzten vertrauten Anhaltspunkte (Lamp, Moon, Star) verlöschen,
einige Mutige wagen sich vor (grope a little) und holen sich ein
paar
Blessuren, aber letztlich entsteht eine neue Sicherheit und
Orientierung, das Leben geht – almost straight – seinen Weg. In
Antoine Beugers Vertonung five nocturnal stanzas (for
singer,
soundtrack and open ensemble) wird
dieser Prozess nachvollzogen. Die Sopranistin Tatjana
Bogomolova
intoniert die Worte zunächst fast ausdruckslos, vorsichtig auf
einer
Tonhöhe sich vortastend, umgeben von einer mehr ahn- als
hörbaren
Zuspielung, ein pulsendes Summen und Beben, ergänzt durch
Instrumente, die sich behutsam in den umhüllenden Klang
einfügen,
gelegentlich kleinste diskrete Ereignisse einstreuen. Im
Verlauf
entwickeln sich Dichteschwankungen, die Ebenen verschmelzen,
die
Stimme gewährt sich Freiheiten, erkundet vorsichtig Neuland,
sucht
ihren eigenen Weg.
Bei
vielen Werken aus dem Wandelweiserumkreis bestehen die
Partituren
nicht aus eindeutigen Notationen sondern geben graphische oder
verbale Hinweise, die einen gemeinsamen Prozess des Suchens
und
Findens initiieren. So auch in Sylvia Lims viersätzigem Will
we see any ducks today?
Doch
nicht um Enten geht es in Lims Stück sondern ums Innehalten.
Der
Titel bezieht sich auf die Vorstellung, dass wir in unserem
Alltag
kurz pausieren, um uns dem Treiben von Enten auf einem Platz
zuzuwenden. Zunächst erklingen nur die Stimmen der
Beteiligten, über
einem grundierenden diffusen Rauschen gehaltene Töne, die sich
langsam annähern. Im zweiten Satz setzen Instrumente ein, die
sich
zu einer langsam in Fluss geratenden Linie vereinen. Nach
einer
ausgedünnten Phase des Wartens entsteht noch einmal Bewegung.
Es
entwickeln sich repetitive Muster, die wie Morsezeichen
durcheinander
funken, sich überlagern, zusammenfinden und doch ihren eigenen
Rhythmus bewahren. Ein Spiel mit Ruhe und Bewegung,
Beiläufigkeit
und Intensität.
Es
gibt wohl kein Instrument, das so europäisch anmutet wie das
Klavier. Dominant, raumfüllend und ehrfurchtgebietend schon in
seiner äußeren Erscheinung, eindeutig im Klang und mit
unerschütterlichem Selbstbewusstsein seine besondere Stimmung
als
die einzig wahre, wohltemperierte ausgebend. Eva-Maria
Houben gelingt gemeinsam mit der Tänzerin Sanae
Kagaya das Kunststück es mit der japanischen Welt der
Haikus und
des Butoh zu vermählen. Prägnant und zurückhaltend zugleich
setzt
sie mit dem Klavier Akzente, die Sanae Kagaya mit ihrer
hochkonzentrierten, Mimik und Gestik umfassenden Körpersprache
beantwortet, wobei sie diesmal erstmals auch ihre Stimme
einsetzte.
Das
Besondere bei den Klangraumwochen ist, dass die Stücke nicht
nur
einmal erklingen, sondern in veränderter Reihenfolge täglich
wiederholt werden. Aufgrund ihrer offenen Struktur können die
Konzepte sich von Tag zu Tag verändern und entwickeln und
immer neue
Facetten freilegen. So öffnet Aaron Lockhart seine piano
solos, die um das
Beginnen,
Dauern und Enden kreisen (appearing – enduring –
disappearing),
für andere Instrumente, nimmt sich selbst zurück und lässt zu
'whatever may occur' – eine Haltung, die der gesamten
Klangraumwoche zugrunde liegt.
[Termine im August]
Köln
Das
Centre
Court Festival
wird noch bis zum 3.8. fortgesetzt und am 28.8.
geht es im LTK4
mit der Soiree Sonique weiter. Am 1.8.
eröffnet und am 15.8.
beschließt die Musikfabrik
die Virtual
Brass Academy
jeweils mit einem Konzert, am 23.8.
hebt sie Ariadne
aus Neanderthal
von Monika
Mattiesen aus
der Taufe und am 30.8.
erklingen zum zweiten Todestag von Ulrich Löffler
Liebeslieder. Am
18.8. präsentieren Benjamin
Kobler und Dirk Rothbrust beim 'Langen
Tag mit jüdischer Musik'
Werke von Tom Belkind und Josef Tal. Im Rahmen des
Festivals
Shalom-Musik
kann man an diesem Tag bei freiem Eintritt 50
Kurzkonzerte genießen;
mit dabei ist auch das Cologne
Guitar Quartet
mit Electric
Atmospheres.
In
der Alten
Feuerwache
stehen das Ensemble
BruCH
am 25.8. mit (Folk)Songs,
das Ensemble
Garage
am 29.8. und das PART-Ensemble
am 30.8. mit Female
Affairs
auf dem Programm. Die mexikanische Klangkünstlerin und
Komponistin
Vica Pacheco wird vom 9. bis 18.8. mit Occarescencia eine Klanginstallation für
die Deutzer
Brücke
entwickeln und die Kunststation
Sankt Peter
kündigt das Trio T.ON
und Michael
Veltman
am 23.8. und ein Lunchkonzert mit dem Duo Astraglossa am
31.8. an.
Am
9.8.
sind Nika
Son
& Richard Ojijo im Stadtgarten
zu Gast, die reiheM
stellt den Berliner Rashad Becker und die New Yorkerin
Lea Bertucci
am 28.8.
einander in zwei Solo-Konzerten gegenüber und am 30.8.
führt
Norbert
Stein
in der Pianissimoreihe Gespräche über Neue Musik.
Einblicke
in die freie Szene bekommt man bei ON
Cologne
und Noies,
der Zeitung für neue und experimentelle Musik in NRW.
Fast
täglich gibt es im Loft
Konzerte und weitere
Termine und Infos finden sich bei kgnm,
Musik
in Köln
und impakt
sowie Veranstaltungen
mit Jazz und improvisierter Musik bei Jazzstadt
Köln.
Ruhrgebiet
Am 15.8. startet die Ruhrtriennale unter dem neuen Intendanten Ivo van Hove. Neue Musik im engeren Sinn steht dabei nicht im Fokus, aber es gibt einiges zu entdecken: I Want Absolute Beauty mit Songs von PJ Harvey und das Musikspektakel The Faggots and their Friends between Revolutions stehen auf dem Programm, beim Abendzauber trifft Björk auf Bruckner, Kirill Serebrennikov befasst sich mit der Legende Sergey Paradjanov, Pump into the Future Ball taucht ein in die Ballroomszene, mit dem Georgian State Chamber Choir erklingt immaterielles Weltkulturerbe und eine Konzertreihe ist Julius Eastman gewidmet.
Die Dortmunder Parzelle veranstaltet vom 15. bis 17.8. das Visual Sound Outdoor Festival.
Das Lokal Harmonie in Duisburg lädt ein zur kollektiven Open Air-Improvisation am 24.6. und hat am 28.8. die Pianistin Vittoria Quartararo zu Gast.
Die Gesellschaft für Neue Musik Ruhr veranstaltet vom 2. bis 4.8. in Essen ein Sommerfest und am 23. und 24.8. erwartet uns mit Soundfloat eine Ausstellung von und mit Künstlern und Künstlerinnen des Ruhrgebiets. Das PART-Ensemble befasst sich am 23.8. in der Kreuzeskirche mit Fake & Halluzinationen und präsentiert am 29.8. in der Zentralbibliothek Female Affairs mit jungen deutschen und indischen Komponistinnen.
Das Ensemble Crush setzt seine Reihe Erdklavier am 24.8. in der Matthäuskirche in Gelsenkirchen fort.
Weitere Termine mit aktueller und improvisierter Musik finden sich hier und bei NRWJazz.
Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW
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