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September 2020

Gewesen: intersonanzenAusflug nach Potsdam
Angekündigt:
Brückenmusik und Ambient Festival in Köln – nano#3-Festival in Essen –
Henzeherbst in Gütersloh – Kagels Staatstheater in Bonn u.v.a.m.


[intersonanzen – Ausflug nach Potsdam]

In Zeiten abgesagter Festivals und eingeschränkter Reisemöglichkeiten tun sich neue Wege auf und so bin ich diesmal in Potsdam bei den intersonanzen gelandet. Potsdam ist zwar die Landeshauptstadt Brandenburgs aber doch irgendwie Provinz und mit Berlin liegt zudem die deutsche Metropole direkt vor der Haustür. Man könnte es sich also in den Hohenzollernschlössern gemütlich machen und potentielle Interessenten auf das vielfältige Musikangebot der Bundeshauptstadt verweisen. Doch es kam anders: Direkt nach der Wende wurde 1990 der Brandenburgische Verein Neue Musik gegründet und zehn Jahre später entschloss man sich, die vereinten Kräfte in einem jährlich stattfindenden Festival zu bündeln. 2020 feiern die intersonanzen somit ihr 20-jähriges Bestehen und das wollte man sich auch durch Corona nicht verhageln lassen. Kurzerhand wurde der Termin in den August verlegt und so konnte die Jubiläumsausgabe vom 20. bis 24.8. zum Glück – mit kleineren Einschränkungen – stattfinden. Veranstaltungsort ist seit einigen Jahren das Kunsthaus sans titre, das sich selbst als Struwwelpeter unter den Potsdamer Kultureinrichtungen bezeichnet und tapfer den immer näher rückenden Baggern und Baukränen trotzt. Im ehemaligen Heizhaus aus DDR-Zeiten wird noch mit Holz geheizt (natürlich nicht im August) und die unkonventionelle, familiäre Atmosphäre zeichnet auch die intersonanzen aus. Seit 2017 ist Thomas Gerwin künstlerischer Leiter und sein Anliegen ist es, gleichzeitig das Potential der lokalen Kräfte abzubilden und über den Tellerrand hinauszublicken. Dieser Blick richtete sich diesmal nach Osten, konkret nach Polen und Rumänien. Während aber das Ensemble devotioModerna aus Bukarest coronabedingt nicht persönlich anreisen konnte und daher leider nur als Bild- und Tonkonserve erlebbar war, sorgte das Hashtag Ensemble aus Warschau für einen der Höhepunkte des Festivals. Die 2013 von der Flötistin Ania Karpowicz gegründete Formation ist ein Zusammenschluss junger polnischer Musiker und Komponisten und präsentierte sich in Potsdam in der Besetzung Flöte, Klarinette, Violine und Cello. Ob mit dem im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Flötensolo entgrenzen … veratmen von Lothar Voigtländer, dem quirligen Duo Heliotrope für Klarinette und Flöte von Dariusz Przybylski oder dem von einem Bild der Op-Art Künstlerin Bridget Riley inspirierten Current von Jacek Domagała, das nach nervösem Auftakt und aggressiver Rhythmik sich langsam beruhigt – die Musiker überzeugten durch ihr lebendiges und konzentriertes Spiel. In Jarosław Siwińskis Aria kommen auch darstellerische und humorvolle Facetten zum Zuge: Das paradoxe Unterfangen, eine einstimmige Vokallinie in ein vierstimmiges Instrumentalstück zu transformieren, wird mit lautmalerischen Irritationen und Störmanövern quittiert. Schließlich sorgte das Hashtag-Mitglied Wojciech Błażejczyk für einen fulminanten Abschluss: In Aether kulminiert die Musik mit elektronischer Unterstützung in einer herrlich schrägen Geräuschkulisse, die deutlich seine Herkunft aus der Rockmusik anklingen lässt. Błażejczyk experimentiert mit hörbar gemachten elektromagnetischen Wellen, ein Ansatz den die Klangkünstlerin Christina Kubisch schon seit Jahrzehnten auf ganz andere Weise verfolgt. Bei ihren Electrical Walks werden die uns umgebenden Stromfelder durch spezielle magnetische Kopfhörer hörbar gemacht, so dass die Teilnehmer ihr Umfeld auf ganz neue Weise erfahren können. Abgeschottet von den Alltagsgeräuschen offenbart sich eine knisternde, ratternde, dröhnende Welt, faszinierend und bedrohlich zugleich. Als besonders aggressiv erweisen sich die Sicherheitsschleusen der Geschäfte, während sich die Geldautomaten von Nixdorf durch ein besänftigendes Gluckern und Plätschern auszeichnen. Geradezu symphonische Qualität entfaltet sich in der Kosmetikabteilung von Karstadt, doch wie ich gelernt habe sind dafür nicht die Marketingstrategen von Chanel und Dior verantwortlich sondern die T5-Leuchtstoffröhren. Als Kontrast zu diesem elektromagnetischen Stadtspaziergang konnte man sich einem Soundwalk mit Michael Schenk anschließen, bei dem es darum ging, den alltäglichen, aber trotzdem oftmals überhörten Umgebungsgeräuschen zu lauschen. Dabei erweckte er auch das inzwischen verstummte Glockenspiel der Garnisonkirche auf indirekte Weise zum Leben. Nach 30 Jahren hat man festgestellt, dass die von einer Iserlohner Initiative gestiftete Nachbildung mit militaristischen und revisionistischen Inschriften kontaminiert ist, weswegen jetzt die Einschmelzung droht (während an der nicht weniger umstrittenen Garnisonkirche munter weitergebaut wird).
Mehrere Veranstaltungen boten den Komponisten und Musikern aus der Region ein Forum: Das 1992 an der Musikschule Berlin-Kreuzberg entstandene Ensemble JungeMusik hatte vorzugsweise Uraufführungen im Gepäck und in einem weiteren Konzert mit sehr divergierendem Programm, das von konventioneller Klaviermusik bis zur theatralischen One-(Wo)man-Show reichte, präsentierten sich die Mitwirkenden als Performer in eigener Sache. Das BVNM ad hoc Ensemble konzentrierte sich aufgrund der aktuell geltenden Abstandsregelungen auf kleine Besetzungen, was zu besonders intensiven Begegnungen führte, zum Beispiel beim unendlich zart, wie durchsichtig hingehauchten und ohne jeden Druck agierenden Frauentrio aus Stimme (Katia Guedes), Flöte (Sabine Vogel) und Klavier (Susanne Stelzenbach). Stelzenbach steuerte mit Licht 2, in dem die Stimmen das Wort 'Light' umkreisen und ihrerseits von Flötenklängen umkreist werden, auch ein schönes Stück zum Konzert des Ensemble nusmido bei. Die vier Musiker haben sich auf die Musik des Mittelalters und der Renaissance spezialisiert und diese für die intersonancen mit experimentellen Werken von Cage bis Aperghis kombiniert, wobei sie als Sänger, Stimmkünstler, Flötisten und Perkussionisten gleichermaßen agieren.

Um die zeitgenössische Musik in Brandenburg zukunftstauglich zu machen, darf man natürlich den Nachwuchs nicht aus dem Blick verlieren und so präsentierte sich das auf Initiative des Verbandes der Musik- und Kunstschulen Brandenburgs entstandene Junge Ensemble Neue Musik taufrisch mit dem zweiten Konzert seiner Laufbahn. Mit Melvyn Poore von der Musikfabrik hatte man sich im Vorfeld Schützenhilfe aus NRW geholt und noch eine weitere Spur führt dorthin: Die vier Saxophonisten des Fukio Ensemble stammen zwar aus Spanien, haben aber an der Kölner HfMT zusammengefunden und weisen die Domstadt als ihren Heimathafen aus. So schließt sich für mich der Kreis, der Abstecher nach Potsdam hat sich gelohnt und wer mehr über Neue Musik in Brandenburg wissen will, kann sich beim Netzwerk Neue Musik umschauen.


[Konzerttermine im September]

Auch wenn weiterhin Ausnahmezustand herrscht und mit kurzfristigen Änderungen zu rechnen ist: Das Musikleben erwacht langsam aus dem Corona- und Sommerschlaf und es gibt endlich wieder eine nennenswerte Anzahl von Konzerten anzukündigen. Bleibt zu hoffen, dass es keinen Rollback gibt.

Köln

Das Gürzenich-Orchester spielt am 6.9. zum Saisonauftakt in der Philharmonie unter dem Motto Metamorphosen u.a. ein Werk von Ayanna Witter-Johnson, außerdem sind dort das Württembergische Kammerorchester Heilbronn mit Bryce Dessners Konzert für Posaune und Orchester am 13.9., das Minguet Quartett mit Nono und einer Uraufführung von Andrea Tarrodi am 17.9. und die Musikfabrik mit van der Aa und Aperghis am 21.9. zu Gast. Die Musikfabrik zieht ausnahmsweise aus Kapazitätsgründen vom WDR in die Philharmonie und kündigt außerdem für den 28.9. ein Montagskonzert in ihrem Studio an.
In der
Kunststation Sankt Peter stehen neben den Septemberimprovisationen am 6.9. und Lunchkonzerten am 5., 12., 19. und 26.9. Veranstaltungen mit dem Ensemble Dialogos und Simon Stockhausen am 2.9. in der Reihe Chamber Remix sowie mit dem Fo[u]r Alto Saxophon Quartett am 30.9. auf dem Programm.

In der Alten Feuerwache präsentiert am 12.9. ein Release-Konzert Stücke von Huihui Cheng, deren Porträt-CD kürzlich in der Reihe Edition Zeitgenössische Musik des Deutschen Musikrats erschienen ist, und am 25.9. ist das ensemble hand werk zu erleben (am 26.9. auch in Münster und am 27.9. in Essen Werden). Außerdem ist am 4. und 30.9. die Reihe Soundtrips NRW zu Gast.
Die
reiheM kündigt Llorenç Barber und Montserrat Palacios für den 2.9. und Takako Saito für den 16.9. an, vom 4. bis 13.9. bespielt Natascha Sadr Haghighian im Rahmen der diesjährigen Brückenmusik die Deutzer Brücke (eine Fortführung des für den Deutschen Pavillon der 58. Biennale di Venezia 2019 entstanden Projekts), in der Freihandelszone widmet sich am 12.9. die Klangcollage Bräute des Windes den Frauen im Surrealismus, vom 10. bis 12.9. kann man beim Ambientfestival die Zivilisation der Liebe entdecken, das Ensemble Garage erkundet am 16.9. in der Tanzfaktur deep listening - deep relaxation, MAM.manufaktur für aktuelle musik begibt sich vom 25. bis 27.9. mit der Befreiungsoper Eleonore auf Beethovens Spuren und bei der 39. Soirée Sonique am 30.9. ist eine performative Installation von Roman Pfeifer zu erleben.

Weitere Termine finden sich bei
kgnm und bei Musik in Köln und Veranstaltungen mit Jazz und improvisierter Musik bei Jazzstadt Köln.

Ruhrgebiet

Vom 10. bis 20.9. findet in Dortmund das Favoriten Festival statt, das neben vielem anderen auch eine Opernperformance im Programm hat.

In der Philharmonie Essen erklingen Werke von Thomas Adès und Fazil Say am 12.9. sowie das 6. Streichquartett von Peteris Vasks in deutscher Erstaufführung am 27.9. und die Gesellschaft für neue Musik Ruhr präsentiert am 12. und 13.9. mit nano#drei ein Festival für neue Musik, Improvisation und Experimente aller Art.

Düsseldorf

In der Bergerkirche lassen am 4.9. Martin Wistinghausen (Bassstimme, Shrutibox) und Susanne Herre (Barockmandoline, Gambe) Altes und Neues, Stimme und Instrumente in einen Dialog treten (am 6.9. auch in Köln). Am gleichen Ort sind am 7.9. die Soundtrips NRW zu Gast sowie am 12.9. das Festival Klangräume mit Alle Neune! und Uraufführungen vor der Klangfolie sämtlicher Sinfonien Beethovens (am 13.9. auch in Köln im Klangraum Kunigunde). Bereits am 6.9. setzen die Klangräume in der Neanderkirche ihren diesjährigen Hölderlinschwerpunkt fort. Das Notabu-Ensemble geht am 11.9. in der Tonhalle mit Dinescu, Grisey, Berio u.a. in die nächste Runde, in der Kunsthalle findet am 24.9. ein Performancekonzert mit Kunsu Shim, Gerhard Stäbler und dem Minguet Quartett statt und im Palais Wittgenstein spielt Susanne Kessel am 25.9. 250 Piano Pieces for Beethoven. Das Düsseldorf Festival macht aus der Coronanot eine Tugend und lädt vom 9. bis 27.9. unter dem Stichwort Face to Face zu einem individuellen Stelldichein mit Düsseldorfer Künstlern und Künstlerinnen wie Irene Kurka oder Frederike Möller.

Sonstwo

Soundtrips NRW schickt wieder internationale Musiker durch die Lande. Vom 4. bis 12.9. ist das slowenische Duo Jošt & Vid Drašler unterwegs und vom 30.9. bis 10.10. das Duo Michael Zerang & Irena Tomažin mit Stationen in Aachen, Bielefeld, Bochum, Bonn, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Hagen, Köln, Moers, Münster, Oberhausen und Wuppertal. Weitere Termine mit Jazz und improvisierter Musik finden sich bei Nrwjazz.net.

Die Gesellschaft für zeitgenössische Musik Aachen befasst sich in ihrer Reihe 'Hören und Sprechen über Neue Musik' am 11.9. mit Unsuk Chin und präsentiert am 13.9. aktuellen Jazz.

Die Bielefelder cooperativa neue musik kündigt für den 6. und 7.9. ein Konzert und einen Jour fixe mit dem Cooperativa Ensemble an.

Der Bonner Wortklangraum hat am 2.9. Marcus Weiss (Saxophon) und Wolfgang Korb (Rezitation) zu Gast, im Frauenmuseum findet am 6.9. ein Konzert der Gedok statt, in der Oper hat am 13.9. Kagels Staatstheater Premiere (Einführungsmatinee am 6.9.) und ab 26.9. verzahnt die Ausstellung Raum ist Partitur im Künstlerforum Bonn zeitgenössisches Komponieren mit sechs aktuellen künstlerischen Positionen bildender Künstler und Künstlerinnen.

Gütersloh erinnert sich im Herbst an den am 1.7.1926 dort geborenen Sohn der Stadt Hans Werner Henze. Zum Auftakt erwarten uns die Benennung des Theaterplatzes in Hans-Werner-Henze-Platz, die Eröffnung einer Ausstellung im Stadtmuseum und am 10.9. ein Konzert der Nordwestdeutschen Philharmonie.

Das Krefelder TAM eröffnet die neue Spielzeit mit Sterbemusik von Gerhard Rühm.

Die Gesellschaft für Neue Musik Münster präsentiert als Rumpffassung des Klangzeitfestivals im Theater im Pumpenhaus am 25.9. das Studio Musikfabrik, am 26.9. das ensemble hand werk und am 27.9. das Hyper Duo sowie das Ensemble Consord (am 6.9. bereits in Hamm) und das Ensemble Horizonte am 20.9. in der Halle b am Haverkamp. In der Black Box stehen neben den Soundtrips NRW am 6.9. das Duo Harri Sjöström & Guilherme Rodrigues am 20.9. und die elektroFlux-Session am 24.9. auf dem Programm.

Im Rahmen der Sommerkonzerte im Kulturraum Hombroich bei Neuss ist am 27.9. der Cembalist Luca Quintavalle zu Gast.

Der Wuppertaler ort erwacht wieder und kündigt neben den Soundtrips NRW am 9.9. das Duo Flux am 18.9. an.

Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW

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