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August 2025
Gewesen:
Manourys Oper Die
letzten Tage der Menschheit in
Köln – Musikfabrik beim WDR
Angekündigt:
Wandelweiser-Klangraum in Düsseldorf – visual
sound outdoor festival in Dortmund – Summer Summit auf der
Raketenstation in Hombroich – Auftakt Ruhrtriennale u.v.a.m.
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[Manourys Oper Die letzten Tage der Menschheit in Köln]
Zum
Abschluss der Spielzeit hat die Oper
Köln
mit der Uraufführung von Philippe Manourys Die
letzten Tage der Menschheit
noch einmal ein Mammutprojekt gestemmt. Thinkspiel
nennt Manoury sein
überbordendes Werk, das am 29.6.25 seine
Uraufführung erlebte. In
Anlehnung an die Gattung des Singspiels begegnen
sich gesprochene und
gesungene Sprache, es soll aber vor allem gedacht
werden, denn
immerhin wird eine fundamentale Menschheitsfrage
behandelt: Warum
haben wir Menschen „nie verstanden (und werden
wahrscheinlich auch
nie verstehen), wie wir unsere Lebenswelt friedlich
teilen können:“
Bislang konnten weder Glaube noch Vernunft, weder
Todesangst noch
Pragmatismus auf Dauer als Bollwerk gegen den Krieg
dienen. Aus dem
„Nie wieder“ wird irgendwann ein „Lieber nicht“ und,
ehe man
sich's versieht, erscheint, was eben noch als
verwerflich und absurd
galt, plötzlich alternativlos. Lebt im Menschen, wie
Einstein im
Briefwechsel mit Sigmund Freud mutmaßt, „ein
Bedürfnis zu hassen
und zu vernichten?“ Ausgangspunkt von Manourys
Thinkspiel ist Karl
Kraus' gleichnamiges Textkonvolut, das zwischen 1915
und 1922 unter
dem unmittelbaren Einfluss des 1. Weltkriegs
entstand. Darin versucht
Kraus gar nicht erst, irgendetwas zu verstehen oder
zu erklären,
sondern, „wissend,
dass ihr Unsäglichstes nur von ihr selbst gesagt werden
konnte“,
begnügt er sich damit, seiner Zeit die überall
herumliegenden
Sprachtrümmer abzulauschen und in über 200 Szenen
auszuspucken –
„ein kakophonisches Stimmengewirr, das direkt in die
Apokalypse
führt“ und dessen grellste Erfindungen Zitate sind.
Seiner
vermeintlichen Unaufführbarkeit zum Trotz – das Drama
sei einem
Marstheater zugedacht, meinte Kraus – gab es immer
wieder
Inszenierungsversuche und auch Manoury ließ sich nicht
abschrecken.
In zwei Teilen nähert er sich dem Text an, wobei uns im
ersten Teil
Patrycia Ziółkowska und Sebastian Blomberg als
Sprechrollen durchs
Geschehen führen. Während sie noch den Monolog des
Nörglers
vortragen, holt sie bereits das Kriegsgeschehen und vor
allem der
anfängliche Kriegsenthusiasmus ein. Ihre Stimmen werden
zunehmend
von Detonationsgeräuschen und skandierten Parolen
überschwemmt, bis
der Chor wie eine Naturgewalt die Bühne flutet und ein
Kriegslied
anstimmt. Im weiteren Verlauf werden wir Zeugen von
Szenen, die sich
in ihrer Absurdität gegenseitig überbieten. Ein
grotesker
Leichenzug zieht vorüber, die Frau Kommerzienrat feiert
den
Heldentod und lässt ihre Kinder Weltkrieg spielen und
eine
Kriegsreporterin in ausladendem Rüschenfummel setzt sich
fotogen im
Schlachtgetümmel in Szene und interviewt die Sterbenden.
Das alles
findet in Saal 1 des Staatenhauses auf großer Bühne
statt, da die
Wiedereröffnung des Opernhauses einmal mehr verschoben
werden
musste. Die Notlösung hat den Vorteil, dass Nicolas
Stemanns
(Inszenierung) und Katrin Nottrodt (Bühne) die Weite des
Raums
nutzen können. Das Gürzenich-Orchester unter der
präzisen Leitung
von Peter Rundel ist die ganze Zeit präsent und
beherrscht den
Blick. Im weiteren Verlauf wird durch die Platzierung
von Teilen des
Orchesters an den Seitenrändern eine eindrucksvolle
Raumwirkung
erzielt.
Die
Stationen des Dramas werden durch einzelne Requisiten
nur angedeutet,
dafür sorgt der häufige Szenenwechsel ergänzt durch die
auf
mehreren Leinwänden erscheinenden Projektionen für eine
ständige
Reizüberflutung, in der auch die Musik stellenweise
unterzugehen
droht. Ohne wörtliche Zitate zu verwenden ließ sich
Manoury von
Musik des ausgehenden 19. und beginnenden 20.
Jahrhunderts
inspirieren, vor allem in den Vor- und Zwischenspielen
wähnt man
sich gelegentlich in mahlerschen Gefilden, dann wieder
sorgen
martialische Bläserattacken für den kriegerischen
Soundtrack. Denn
Musik kann beides, sie kann sich zu kulturellen Höhen
aufschwingen
und uns in unserer Menschlichkeit berühren und
verbinden, aber sie
kann ebenso gut die Kriegslust anfachen und mit
Marschmusik in den
Kampf führen.
Einen
gewissen Gegenpol in all dem Tohuwabohu verkörpert Anne
Sofie von Otter
als Angelus
Novus.
Benjamin beschreibt in einem bekannten Text, der sich
auf ein Bild
von Paul Klee bezieht, den Engel der Geschichte, dessen
Antlitz den
sich unablässig anhäufenden Trümmern der Vergangenheit
zugewandt
ist und der von einem Sturm unaufhaltsam der Zukunft
zugetrieben
wird, der er den Rücken kehrt. Im Gegensatz zu diesem
Getriebenen
strahlt Manourys Engel eine gewisse Ruhe aus, wozu auch
Otters warme,
dunkel temperierte Stimme beiträgt. Ihre Präsenz scheint
die Zeit
einen Moment anzuhalten, doch dem unausweichlichen Sog
des Schreckens
kann auch sie letztlich nichts entgegensetzen, weshalb
sie am Ende
des ersten Teils vorläufig verstummt.
Eigentlich
könnte hier Schluss sein, doch Manoury setzt noch eins
drauf.
Während schon im ersten Teil klischeehaft überzeichnete
Typen die
Bühne bevölkern, bekommen wir es im zweite Teil mit
Allegorien zu
tun. In einem wahren Überbietungswettbewerb und mit sich
steigernder
Schlagzahl begegnen uns Raben und Hyänen, Flammen,
Mütter und tote
Wälder, plötzlich sind wir in Vietnam, ein
eingeschobener Dialog
dekliniert die Ambivalenz der Aufrüstung durch, die
Bühne wird von
einem riesigen Gerüst beherrscht, das sich langsam nach
vorne
schiebt, eine Flut von Kriegsbildern überschwemmt die
Projektionsflächen und die Musik wird durch Zuspielungen
und
live-elektronische Verfremdungen erweitert. Schließlich
wird der
Menschheit der Prozess gemacht und ein Trio der
ungeborenen Kinder
bittet, gar nicht erst entstehen zu müssen. Bei aller
Hochachtung
vor der Leistung aller Beteiligten entsteht spätestens
hier ein
Gefühl des 'es reicht'. Man könnte sagen, dass Manoury
genau die
Überforderung produziert, die dem Thema Krieg innewohnt.
Doch das
Unbehagen, das sich einstellt, bezieht sich nicht auf
die gezeigten
Kriegsgräuel oder eine drohende Kriegsgefahr, sondern
auf die Art
der Darstellung, die diesen nicht gerecht wird und bei
mir letztlich
eher Überdruss und Unmut erzeugte.
Freud
war übrigens der Meinung, dass man dem Krieg am ehesten
durch alles,
was Gefühlsbindungen und bedeutsame Gemeinsamkeiten
unter den
Menschen herstellt, entgegenwirken kann. Schlechte
Aussichten in
einer Zeit, in der Menschen aus Fleisch und Blut
zunehmend durch
manipulierte Bilder und Avatare ersetzt werden und das
Heil in
Polarisierungen und identitärer Abgrenzung gesucht wird.
[Musikfabrik beim WDR]
Im
93.
WDR-Konzert
der Musikfabrik
kamen am 12.7. zwei sehr unterschiedlicher Werke für
Klavier zur
Uraufführung. Im Zentrum stand Georg
Friedrich Haas'
neues Stück Les
Espaces
für Vierteltonklavier zu 8 Händen, das Benjamin
Kobler,
dem Pianisten der Musikfabrik, im Vorfeld einiges
Kopfzerbrechen
bereitete. Haas, der sich in seiner Musik intensiv
mit Klängen
jenseits der wohltemperierten Zwölftönigkeit
beschäftigt,
komponierte das Werk ursprünglich für ein Vierteltonklavier,
wie es in den 1920er Jahren auf Anregung von
Pionieren wie Alois
Hába
und Ivan
Wyschnegradsky
von der Firma
Förster
entwickelt wurde. Da noch vorhandene Exemplare sich in
Museen
befinden und für Aufführungen nicht ohne Weiteres zur
Verfügung
stehen, dachten sich Kobler und Haas eine alternative
Lösung aus.
Dabei werden zwei um einen Viertelton versetzt gestimmte
Flügel
durch eine Computerschnittstelle angesteuert, die über
zwei
übereinanderliegende Manuale bedient wird. Das Ergebnis
ist sowohl
optisch als auch akustisch beeindruckend und geht
klanglich weit über
die übliche Klaviermusik hinaus. Gleich zum Auftakt
erzeugen die
acht Hände (Benjamin Kobler, Laura Álvarez, Thibaut
Surugue und
Yeji Jung) eine wogende, von hohen Spitzen durchsetzte
Klangfläche,
die sich zu einem wahren Sturm verdichtet, bevor sie zu
einer
säuselnden, sirrenden Brise verebbt. Perlende,
glockenartige
Strukturen scheinen sich im Unendlichen aufzulösen, bei
geschlossenen Augen glaubt man sich Insektenschwärmen
und allen
möglichen Wetterkapriolen ausgesetzt und kann kaum
glauben, das all
das aus dem Korpus zweier Klaviere strömt. Gerne hätte
ich den
Musizierenden dabei auf die Finger geschaut, zumal, wie
Raul Mörchen
im Programmheft verrät, Haas regelrechte
Fingerchoreografien
eingebaut hat. Stattdessen verbirgt sich das wilde
Fingerspiel hinter
vier dicht an dicht sitzenden Rücken, die – wenn sich
die Musik
auf die hohen oder tiefen Registern konzentriert – noch
enger
zusammenrücken und fast verschmelzen. Während Haas die
exquisiten
Klangeffekte über 40 Minuten auskostet und sich in ihnen
zu
verlieren droht, präsentiert sich Arnulf
Herrmanns
neues Werk Spur
und Umschrift
für Klavier zu 4 Händen sehr viel bescheidener.
Komponiert für ein
Konzert, das klassische und zeitgenössische Musik
kombiniert, greift
er das Konzept der thematischen Arbeit auf, indem er
dieses
konterkariert. Denn zielstrebig oder folgerichtig ist
hier nichts.
Nach anfänglich gemächlichem Schreiten gerät die Musik
in dichte,
lebhafte Bahnen, trumpft auf, bleibt hängen, setzt neu
an, bricht ab
und braucht für all das gerade einmal sechs Minuten.
Die
Schwedin Ellen
Arkbro
befasst sich wie Haas mit Mikrotonalität und ließ sich
von der
eigenwillig gestimmten frühbarocken Orgel in der
Deutschen Kirche in
Stockholm zu ihrem 2017 entstandenen Werk For
Organ and Brass
inspirieren. Den gehaltenen, sanft schwankenden Tönen
der portablen
Orgel antworten Tuba, Horn und Posaune, woraus sich
leicht
verrutschte Zusammenklänge ergeben. Damit begnügt sich
Arkbro
jedoch, wodurch das Stück recht zäh und schwerfällig
gerät. Für
mehr Abwechslung sorgte Lucia
Kilgers
cyrcyre
#2 für
Ensemble und Elektronik, das 2022 seine Uraufführung im
Rahmen der
Reihe Adventure,
einem Kooperationsprojekt der Musikfabrik mit der
Hochschule für
Musik und Tanz Köln, erlebte. Zum Auftakt begegnen wir
einer
einsamen Flöte, die sich in einem Kokon aus
elektronischen Klängen
zu orientieren versucht. Im zweiten Teil wird das
Zuspiel vom
Ensemble abgelöst, das zwischen kurzen Ausbrüchen und
schwankend-schwebenden Klangflächen ein lebhaftes,
unkalkulierbares
Eigenleben entfaltet. Die Flöte tritt zunächst zurück,
ergreift
schließlich erneut das Wort und leitet über zu einem
elektronischen
Ausklang, der in fremde, ungreifbare Welten entführt.
[Termine im August]
Köln
In
der Reihe ritual
ist am 1.8.
Wojtek
Blecharz
mit einer Performance zu erleben. Im LTK4
wird am 1. und 2.8. das Centre
Court Festival fortgesetzt und am 27.,
28., 29. und 30.8. geht es mit einer
Waldausstellung im Rahmen der
Soirée
sonique
weiter. In
der Kunststation
Sankt Peter
erwarten uns ein Konzert mit Will
Saunders
am 22.8. und ein Lunchkonzert am 30.8. Am 25., 26. und
28.8. ist die
tonhaube,
eine mobile Klanginstallation, an verschiedenen
Orten in Köln
unterwegs mit dem Ziel, die Sichtbarkeit bzw.
Hörbarkeit weiblicher
elektronischer Musik zu erhöhen. Im Stadtgarten
stehen am 4.8.,
18.8.
und 26.8.
NICA
artists
auf der Bühne und am 7.8.
ist die mexikanische Klangkünstlerin Concepción Huerta
zu Gast und
vom 31.8. bis 5.9. findet die Cologne
Jazzweek
(u.a. im Loft,
wo
es auch ansonsten fast täglich Konzerte gibt) statt,
die auch eine
ganze Reihe von kostenfreien Veranstaltungen zu bieten
hat.
Einblicke
in die freie Szene bekommt man bei ON
Cologne
und Noies,
der Zeitung für neue und experimentelle Musik in NRW
und jeden 2.
und 4. Dienstag im Monat sendet
FUNKT
ein Radioformat mit Elektronik und Klangkunst aus Köln.
Weitere
Termine und Infos finden sich bei kgnm,
Musik
in Köln
und impakt,
sowie
Veranstaltungen
mit Jazz und improvisierter Musik bei Jazzstadt
Köln.
Ruhrgebiet
Am 21.8. startet die Ruhrtriennale unter dem Motto Longing for Tomorrow in die zweite Spielzeit unter der Intendanz von Ivo Van Hove. Neue Musik spielt bei diesen Zukunftsaussichten keine besonders wichtige Rolle. Für sein Musiktheater I Did It My Way lässt sich Van Hove von Frank Sinatra und Nina Simone inspirieren und im August stehen außerdem eine Hommage an Wendy Carlos, eine Pionierin der elektronischen Musik, und ein Liederzyklus von Tyshawn Sorey auf dem Programm.
Das Rabbit Hole Theater in Essen veranstaltet vom 1. bis 3.8. ein Sommerfest und vereint am 28.8. sechs Künstler und Künstlerinnen aus NRW anlässlich eines Improvisationskonzerte. Die Gruppe Moment lädt ein zu einer Laborbegegnung am 23.8. sowie zu einem Musiktheater über innere Bewegung in Zeiten des Umbruchs am 24.8.
In Dortmund findet vom 14. bis 16.8. das visual sound outdoor festival statt, das sich zu einer Anlaufstelle der internationalen Free Jazz- und Improvisationsszene entwickelt hat. Ansonsten befinden sich die meisten Veranstaltungsstätten in der wohlverdienten Sommerpause. Das Lokal Harmonie in Duisburg startet am 31.8. mit einem Konzert der Leipziger Band Glotze in die nächste Runde.
Düsseldorf
Vom 29.7. bis 3.8. organisiert Antoine Beuger die zweite Woche des Wandelweiser-Klangraums in der Jazzschmiede. Am 16.8. verwandeln Irene Kurka und Christian Banasik im Rahmen eines kostenfreien Workshops im NRW-Forum Pflanzen in Klanglandschaften, die in einem Abschlusskonzert erlebbar sind.
Sonstwo
Vom 28.8. bis 27.9. findet in Bonn das Beethovenfest statt. Im Konzert am 31.8. mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin erklingen Werke von Bernd Alois Zimmermann und Olly Wilson. Auf dem August-Macke-Platz ist noch bis zum 21.9. die Klanginstallation breathing von Raul Keller zu erleben.
Vom 14.7. bis zum 10.8. verwandelt der Summer Summit das Haus für Musiker auf der Raketenstation bei Neuss in einen Ort musikalischer Begegnungen und Experimente. Am 2. und 9.8. vermitteln Konzerte bei freiem Eintritt einen Einblick.
Weitere Termine mit improvisierter Musik finden sich bei NRWJazz.
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