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Gewesen: Rossum's Universal Robots in Köln –
Gürzenich-Orchester mit Matalon und B.A. Zimmermann
Angekündigt: Das
Schweigen der Dafne in Köln – new counterpoints in Düsseldorf
u.v.a.m.
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[Rossum's Universal Robots in Köln]
Am 2.1.1921 wurde in
Prag Karel Čapeks Theaterstück Rossum's Universal Robots uraufgeführt, das nicht nur als das
„schlechteste wichtige Stück seiner Zeit“ (Isaac
Asimov) Furore machte, sondern uns auch die
Wortschöpfung Roboter bescherte (nach dem
tschechischen robota = Arbeit) und ein Grundschema
vieler dystopischer Mensch-Maschine-Erzählungen
behandelt: Der Mensch kreiert ein künstliches Wesen,
das sich verselbständigt und schlussendlich gegen
seinen Schöpfer wendet. Nun ja, selbst Gott ist
dieses Malheur passiert. Irgendwann hat er es
aufgegeben, mit Sintfluten und dergleichen
gegenzusteuern, sich einfach aus dem Staub gemacht
und darauf vertraut, dass der Mensch sich selber den
Garaus machen wird, eine Rechnung, die aufzugehen
scheint. Doch bevor es soweit ist, hat sich das
Ensemble gamut inc um die Computermusikerin Marion Wörle und
den Komponisten Maciej Śledziecki des Dramas
angenommen und Rossum's Universal Robots als Musiktheater zum Mittelteil ihrer
Mensch-Maschine-Trilogie erkoren. Das Ergebnis war
nach der Uraufführung in Berlin am 5. und 6.2. im Comedia Theater in Köln zu erleben und basiert auf einem
Libretto von Frank Witzel, das nach der Vernichtung
der Menschheit einsetzt: Der Forscher Alquist hat
als einziger überlebt und interagiert mit den beiden
nach menschlichen Vorbildern erschaffenen
Maschinenwesen Helena und Primus, für die er die im
allgemeinen Getümmel verlorengegangene
Reproduktionsformel rekonstruieren soll. Doch statt
sich an die Arbeit zu machen, kreist das Dreigestirn
um die ewig gleichen Themen Leben und Tod, Freiheit
und Determination, Individualität und Gesellschaft,
Gleichheit und Macht und dabei kann man rasch
feststellen, dass wir in den letzten 100 Jahren zwar
von einer technischen Revolution in die nächste
getorkelt, im Bereich der philosophischen Grundlagen
und -fragen aber keinen Schritt weiter gekommen
sind. Dieses Auf-der-Stelle-treten und
Um-sich-selbst-kreisen setzt gamut inc. auf
kongeniale Weise in Szene: Das minimalistische
Bühnenbild (Nina Rhode), bestehend aus sieben
kinetischen Scheiben, die unterschiedlich platziert
und in mal grellfarbenes mal weißes Licht getaucht
werden, entfaltet einen hypnotischen Sog, der auf
musikalischer Ebene durch Schichtungsverfahren,
mechanische Repetition und isorhythmische Phrasen
erzeugt wird. Dabei begegnen sich Computerklänge,
die gleich zum Auftakt als wummerndes Beben durch
den Raum wabern, mit den Stimmen des großartigen
RIAS-Kammerchors, der – teils in Großaufnahme – als
Projektion die gesamte Rückwand einnimmt und uns mit
dicht gewebtem Wohlklang umfängt. Die beiden
Maschinenwesen Helena und Primus sind als Sopran (Gina May Walter) und Countertenor (Georg A. Bochow) in ähnlicher Stimmlage besetzt, was ihre
individualitätsberaubte Künstlichkeit betont, die
besonders Bochow mit schneidender Kälte zum Ausdruck
bringt. Alquist (Patric Schott) ist der einzige, der
sich mit seiner markanten Sprechstimme dem
rotierenden Strudel entzieht, aber gerade das lässt
ihn, wie auch sein spärlich beleuchteter
Schreibtisch am Bühnenrand, antiquiert erscheinen.
Man merkt bald, dass die vermeintliche
philosophische Tiefe ebenfalls nur simuliert ist,
nur altbekannte Worthülsen verschoben werden,
weshalb die Textverständlichkeit ohne Verlust der
Musik geopfert werden kann.
Eine vierte Figur (dargestellt durch den Tänzer Ruben Reniers) lässt sich womöglich als nächster
Evolutionsschritt interpretieren, sie entgeht in
ihrer Stummheit dem „Gift menschlichen Räsonierens“,
verlässt sich ganz auf den Körper und gleitet in
eleganten, tänzerischen Posen durch den Raum. Doch
ihr schwarzes All-over-Kostüm, das alles, selbst das
Gesicht bedeckt, nichts hinein und nichts hinaus
lässt, ist auch als weitere Stufe einer
solipsistischen Selbstverstrickung lesbar, die
keinen Ausweg kennt.
[Gürzenich-Orchester mit Langs Metropolis in einer Neuvertonung von Martin Matalon und B. A. Zimmermann in der Kölner Philharmonie]
Interessanterweise war
kurz darauf ein weiterer Science-Fiction-Klassiker
in neuer Vertonung zu erleben: Am 16.3. wurde in der
Kölner Philharmonie Martin Matalons Interpretation von Fritz Langs Metropolis, an der er schon seit 1995 arbeitet, als Metropolis rebootet in einer neuen Fassung für Orchester und
Elektronik aus der Taufe gehoben. Schon bei seiner
Premiere 1927 entpuppte sich Langs Opus magnum als
ambivalentes Meister-Machwerk. Ein erzkonservatives
Gesellschaftsmodell (Hirn regiert Hand) trifft auf
obskure Technikvisionen, atemberaubende
futuristische Architekturlandschaften auf
altertümelnde Szenarien in Kathedralen und
Katakomben, das Ganze garniert, wie schon die
Zeitgenossen bemerkten, mit einer „Konzentration
fast jeder möglichen Dummheit, jeden Klischees,
jeder Plattitüde und Ungereimtheit über mechanischen
Fortschritt und Fortschritt im Allgemeinen“ (H.G.
Wells), „trivial, schwülstig, pedantisch, von einem
übermächtigen Romantizismus“ (Luis Buñuel). Mit
Mitteln der Musik hier gegenzusteuern, versucht
Matalon erst gar nicht, statt dessen setzt er wie
Lang auf Überwältigung: Das Orchester (Gürzenich-Orchester unter der Leitung von François-Xavier
Roth) wird um ungewöhnliches Instrumentarium
wie E-Gitarre und E-Bass sowie außereuropäische
Schlaginstrumente ergänzt, was bei Bedarf für einen
Schuss Exotik sorgt. Vor allem erzeugt Matalon mit
Hilfe des IRCAM einen fulminanten elektronischen
Klangraum, der im weiten Rund der Kölner
Philharmonie hervorragend zur Geltung kommt. Gleich
zum Auftakt wird das Auditorium von jagenden, an-
und abschwellenden Klangwogen geflutet, die sich zu
schepperndem Maschinensound verdichten. Das
Geschehen wird zwar nicht 1:1 akustisch illustriert,
aber mit seiner Tendenz, sich aus allen Ecken und
Winkeln zu bedienen, gewissermaßen den Fundus zu
plündern und auf Effekte zu setzen, bleibt Matalon
Langs Original treu. Perlende Harfen und schmissige
Bläser treffen auf klöppelnde Vibraphone, immer
wieder durchfurcht vom jaulenden und schlierenden
Sound der E-Gitarre und aus dem Off heranbrandender
Elektronik. Diese Entsprechung funktioniert auch
dann, wenn Matalon die finale Katastrophe, eine
menschengemachte Sintflut, mit brüchigen, fragilen
Klängen kontrastiert.
Rossum's Universal Robots und Metropolis rebootet saugen uns in retro-futuristische Blasen,
in denen sich Vergangenheit und Zukunft so herrlich
auf die Füße treten, dass man die Gegenwart mühelos
ausblenden kann – wobei ich persönlich die
minimalistische Variante der opulenten vorziehe.
Bei soviel Retro-Futurismus könnte man glatt annehmen, dass die Zeit die Gestalt einer Kugel hat, ein Konzept, das bekanntlich Bernd Alois Zimmermann vertrat. Am 12.2. wollten der Regisseur Calixto Bieito und François-Xavier Roth mit seinem Gürzenich-Orchester Zimmermanns Jahrhundertoper Die Soldaten in der Philharmonie auf die Bühne bringen, aber dieses Vorhaben war in Zeiten pandemiebedingter Einschränkungen offenbar zu groß gestrickt und soll auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. So ganz wollte man sich aber nicht geschlagen geben und realisierte stattdessen unter dem Titel Canto di speranza ein inszeniertes Konzert, bei dem fünf Werke Zimmermanns aus sehr unterschiedlichen Phasen seines Schaffens zu Gehör kamen. Gruppiert um einen Ausschnitt aus seiner 4-Kanal-Bandaufnahme Tratto II traf die unmittelbar nach dem Krieg entstandene Sinfonie in einem Satz auf die Musique pour les soupers du Roi Ubu, ein Ballet noir, bei dem sich Zimmermann in parodistischer Weise quer durch die Musikgeschichte zitiert, um mit sarkastischem Biss seine Gegenwart zu sezieren. Und während das Orchesterwerk Photoptosis in allen Farben sprüht und funkelt, werden wir in Stille und Umkehr Zeuge eines schmerzhaften Auflösungsprozesses. Das lässt sich nicht bebildern und das versucht Bieito auch nicht, stattdessen platziert er kleine Szenen, Irritationen und Störfeuer; er lässt seine beiden Darsteller (Alexandra Ionis und Leigh Melrose) auf aufgebockten Fahrrädern munter gegen die Verzweiflung anstrampeln oder in einem gläsernen Schneewittchensarg ruhen – mit einer Zimmerpflanze zwischen den Füßen. Dadurch entsteht eine Stimmung, bei der unter der Oberfläche des Verspielten ein Abgrund des Makabren, der Ausweglosigkeit aufscheint. Ob das zum Schluss aufflammende Licht als Hoffnungsschimmer gelten kann, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Köln
In der Philharmonie stehen Werke
von Andrew Norman am 6.3., Wolfgang
Rihm am 12.3., Tebogo Monnakgotla am 13.3.,Witold
Lutoslawski am 13., 14. und 15.3., Bruno Hartl
am 22.3. und Marko
Nikodijevic am 27.3. auf dem
Programm. Die Alte Feuerwache kündigt das Ensemble Bruch am 6.3., Das
Schweigen der Dafne, ein
Musiktheater für eine Tänzerin, einen Schauspieler und
ein Kammerensemble, am 19.3., PS - ein Veto gegen die Zeit und den Lauf der
Dinge am 26. und
27.3. und das E-Mex-Ensemble mit Limina von Valerio
Sannicandro am 30.3. an. Die Musikfabrik lädt am 7.3., 14.3. und 28.3. bei freiem
Eintritt zu ihren Montagskonzerten.
Am 1.3. befassen sich
das E-Mex-Ensemble und Martin
Zingsheim im WDR-Funkhaus mit der schrägen Seite
Amerikas, das Trio Hübsch/Schubert/Wierbos spielt am 6.3. als Carl Ludwig Hübschs
Langfristige Entwicklung des Universums im Atelier
Dürrenfeld/Geitel, ebenfalls am 6.3. treffen
Jörgensmann/Dell/Ramond/Kugel beim Chamber Remix auf Yérri-G
Hummel, Irene Kurka
interpretiert am 13.3. in der Markuskirche in Porz further in summer than the
birds V von Eva-Maria Houben, das
Trio Abstrakt ist am
26.3.
im Alten Pfandhaus
zu Gast und die nächste Soirée Sonique
ist am 30.3. geplant.
Ruhrgebiet
Avner Dormans Die Kinder des Sultans, eine fantastische Oper für Menschen ab 8 Jahren, hat am 6.3. in Dortmund Premiere, im Konzerthaus stehen Werke von Philipp Maintz am 9.3. und David Lang am 13.3. auf dem Programm und im domicil gibt am 17.3. The Dorf sein monatliches Gastspiel.
Bereits am 2.3. ist The Dorf im Steinbruch in Duisburg zu erleben. In der Mercatorhalle spielt am 6.3. das Armida Quartett Marko Nikodijevic 2. Streichquartett und am 27.3. interpretiert Kai Schumacher Frederic Rzewskis The People United Will Never Be Defeated!
Düsseldorf
Zwei Konzerte in der Reihe new counterpoints, die eigentlich schon 2020 bzw. 2021 stattfinden sollten, holt der Verein musik21 am 20.3. endlich nach. Zu Gehör kommen fünf Uraufführungen. In der Tonhalle erwarten uns das Bruckner Orchester Linz und Martin Grubinger mit Bruno Hartls Konzert für Multi-Percussion und Orchester op. 23 am 20.3. und das notabu.ensemble mit einem Konzert zum 70. Geburtstag von Wolfgang Rihm am 30.3.
Sonstwo
Die Aachener Gesellschaft für zeitgenössiche Musik befasst sich in der Reihe 'Hören und Sprechen über Neue Musik' am 4.3. mit Johannes Maria Staud und hat am 26.3. Stefan Bauer und das SKR Trio zu Gast.
Die Bielefelder cooperativa neue musik widmet ihren nächsten Jour fixe am 7.3. Toshio Hosokawa und in der Zionskirche findet am 20.3. ein Neue-Musik-Konzert mit Viktoriia Vitrenko statt.
Das Bruch Ensemble bringt am 3.3. zeitgenössische Musik ins Bonner Beethoven-Haus.
In der Black Box in Münster sind Jan Klare und Kollegen am 4.3. und das Kodian Trio am 24.3. zu Gast.
Dominik Susteck, der ehemalige Organist an der Kunst-Station Sankt Peter in Köln, gestaltet an seinem neuen Wirkungskreis in Paderborn unter dem Titel 'blau – experimentelle musik im kirchenraum' am 2.3. ein gemeinsames Konzert mit Irene Kurtak.'b
Der ort in Wuppertal kündigt einen Film über Arvo Pärt in der Reihe cine:ort am 3.3. und neue Kammermusik mit dem Cello-Trio Ono am 19.3. an.
Termine mit improvisierter Musik finden sich bei NRWJazz.
Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW
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