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https://kulturserver-nrw.de/de_DE/gazette-neue-musik-in-nrw-ausgabe-juli-august-2019Juli /August 2019
Gewesen: Oper, Skepsis und Gleisbau – Schönes Wochenende in Düsseldorf – Ustwolskaja in Bonn
Angekündigt: Wandelweiser in Düsseldorf – Brückenmusik und Orgelmixturen in Köln – Soundseeing im Münsterland – Folkwang Woche der Neuen Musik u.v.a.m.(möchten Sie diese Gazette monatlich neu per E-Mail erhalten? Dann senden Sie bitte eine Mail an neuemusik-join@list.kulturserver-nrw.de )
[Oper, Skepsis und Gleisbau in Essen und Dortmund]
Oper,
Skepsis und Gleisbau ist der Name eines
Ensembles, das sich als Labor für klangbasierte
Bühnen-Experimente versteht und sein
jüngstes Werk mit dem Titel [...alles
gut...]
unter der Regie von Frank
Niehusmann
im Juni im Essener
Maschinenhaus
und im Dortmunder
Depot zur
Aufführung brachte.
Bei
den Stichworten Oper, Skepsis und Gleisbau denke ich
an
abendländische Tradition, kritisch-philosophisches
Denken und
ehrliches Handwerk und tatsächlich findet sich von
allem etwas auf
der Bühne. Diese präsentiert sich als von farbigen
Linien
durchzogenes Spielfeld, das von
Baustellen-Utensilien (Flatterband,
Absperrkegel) umstellt ist und auf dem acht
Protagonisten wie
Spielfiguren in wechselnden Konstellationen agieren.
Zur
Darstellerriege gehören Musiker, Tänzer,
Schauspieler und Performer
(darunter ein seltsames Wesen unter weißer Plane mit
kegelförmigem
Fortsatz) und entsprechend vielfältig ist das, was
in den nächsten
1 ¼ Stunden geboten wird. Das Instrumentarium –
E-Gitarre,
Akkordeon, Theremin, Schlagwerk – wird mehr
bearbeitet bzw.
experimentell erkundet als traditionell bespielt und
frei im Raum
bewegt. Das umfangreiche Perkussionsequipment zum
Beispiel bestückt
einen Einkaufswagen, der Assoziationen an das mobile
Heim eines
Obdachlosen weckt, und dieses Schlingern zwischen
Verfremdung und
Weltbezug, Abstraktion und Realitätsgehalt
durchzieht das gesamte
Stück. Auf einer Videoleinwand tauchen sowohl
Alltagsszenen als auch
abstrakte Konfigurationen auf und durch die mit
fluoreszierenden
Reflektorstreifen bestückten Uniformen wirken die
Darsteller
gleichzeitig wie handfeste Bauarbeiter und abstrakte
Funktionsträger.
Getaktet durch einen abrupt wechselnden mal
wummernden, mal
pochenden, mal gluckernden elektronischen Soundtrack
ereignen sich
scheinbar sinnfreie Begegnungen als vielfältige
Parallelaktionen,
die von musikalischen Aktivitäten über
Textrezitationen bis zu
klassischem Paartanz reichen. So entsteht ein
Überschuss an
Information, der gleichzeitig Irritation und Neugier
auslöst. Auf
unserer Suche nach Orientierung kommen uns
Wiederholungsmuster zu
Hilfe; wiederkehrende Texte, Gesten, Konstellationen
sorgen für
Vertrautheit, doch kaum stellt sich so etwas wie
Ordnung ein, da
droht diese schon in Überdruss und Langeweile
umzuschlagen. Zwei
interessante Beobachtungen lassen sich dabei machen
– womit wir die
philosophisch-kritische Ebene berühren: 'Sinn' wird
nicht durch die
Bezugnahme auf Externes generiert sondern durch die
Herstellung
interner Bezüge und zwischen Chaos, Ordnung und
Redundanz ist der
Übergang fließend und geht schneller als man denkt.
[Schönes Wochenende in Düsseldorf]
Bislang hatte das Schöne Wochenende, das Festival der Düsseldorfer Tonhalle für aktuelle Musik, seinen Platz am Jahresanfang, doch diesmal ist es in den Sommer gerückt, um sich mit dem Schumannfest zu verbinden. Hintergrund ist ein thematischer Schulterschluss, denn beide Veranstaltungen widmeten sich in diesem Jahr in besonderem Maße dem Schaffen von Frauen. Für das Schumannfest war der 200. Geburtstag von Clara Schumann Anlass sich mit ihr sowie der Rolle von Frauen im 19. Jahrhundert zu befassen. Mit dem Schönen Wochenende konnte man nahtlos anknüpfend erkunden, ob bzw. wie sich die Zeiten geändert haben, wobei in sechs Konzerten ein sehr heterogenes Potpourri geboten wurde. Den Auftakt machte das aus fünf Blechbläsern bestehende Ensemble Stockholm Chamber Brass, das mit Cathy Millikens Espiral auch eine Uraufführung im Gepäck hatte. Milliken, selbst Oboistin und ehemaliges Mitglied des Ensemble Modern, erkundet darin den für Bläser fundamentalen Prozess des Atmens von fragilen Luftgeräuschen bis zu hochenergetischen Turbulenzen. Weniger überzeugend fand ich die Versuche, Sprache und Musik zu verbinden, sowohl in Britta Byströms Inferno, das um August Strindberg kreist, als auch in einer Eigenkreation des Ensembles zum Schaffen von Hildegard von Bingen. In beiden Fällen wurde ein konventioneller Text konventionell vorgetragen und auf konventionelle Weise mit konventioneller Musik gepaart, was leider nicht die Quadratur des Kreises sondern Konventionalität hoch vier ergab.
Das man mit Sprache sehr viel kreativer umgehen kann, demonstrierten Schülerinnen und Schüler des Düsseldorfer Marie-Curie-Gymnasiums gemeinsam mit der Geigerin Noëlle-Anne Darbellay und der Poetry Slamerin Josefine Berkholz. Die sehr persönlichen Texte der jungen Leute zum Thema Who am I fanden in Darbellays Violinspiel einen perfekten Resonanzboden. Daneben betätigte diese sich selbst als Sängerin und Rezitatorin, u.a. in Werken ihres Vaters Jean-Luc Darbellay sowie, besonders schön, in Jürg Wyttenbachs Harmonie mit schräger Dämpfung nach Gedichten von Paul Klee.[Ustwolskaja in Bonn]
Am 17.6. wäre Galina Ustwolskaja 100 Jahre alt geworden. 1919 in Sankt Petersburg geboren, blieb sie der Stadt, während diese mehrfach ihren Namen wechselte, stets treu, verließ sie selten und verstarb dort am 22.12.2006 mit 87 Jahren. Nachdem sie in den 90er Jahren im Westen 'entdeckt' wurde, entwickelte sie sich rasch zu einer geheimnisumwitterten Figur. Aufträge lehnte sie ab, wenn Gott nicht mitspielte, Markus Hinterhäuser sah sie verängstigt und kaum eines zusammenhängenden Satzes fähig in einem abgedunkelten Hotelzimmer sitzen und Begriffe wie Einsamkeit und Verzweiflung sowie die immer gleichen Zitate machten die Runde. Es geht selbstverständlich um die Seele, die Conditio humana, ja ums Ganze und wenn man nicht aufpasst, landet man schneller als einem lieb ist bei der Klimaapokalypse. Da tut es gut, in einem ganz unspektakulären Raum zu sitzen, dem Dialograum Kreuzung an Sankt Helena in einem Bonner Hinterhof, wo die In Situ Art Society am 15. und 16.6. zwei Konzerte ihr zu Ehren veranstaltete. Ustwolskaja hat sehr darum gebeten, besser nichts über ihre Musik zu schreiben, als immer wieder das Gleiche, und ich bin geneigt, mich ihrem Wunsch diesmal zu fügen. Letztlich ist diese Musik nicht nur ein klangliches sondern vor allem ein körperliches Erlebnis und ich kann nur jedem raten, sich ihr – wann immer sich die Gelegenheit bietet – auszusetzen. In Bonn bestritten Mikhail Mordvinov mit den sechs Klaviersonaten und Mitglieder der Musikfabrik mit dem Trio für Klarinette, Violine und Klavier von 1949, dem Grand Duet für Cello und Klavier von 1959 und der Komposition Nr. 1 für Piccoloflöte, Tuba und Klavier von 1970/71 das Programm. Wenn in letzterem die abgründigen Töne der Tuba auf die schrillen, kreischenden der Piccoloflöte treffen, fräst sich das so tief in die Gehör- und Gehirnwindungen, dass es mir noch jetzt eine Gänsehaut verursacht. Dem Team um Pavel Borodin, das die In Situ Art Society 2014 gründete und seitdem Bonn und Umgebung regelmäßig mit aktueller Musik versorgt, sei daher nur mit wenigen Worten gedankt.
(Der Gesellschaft hatten wir übrigens auch das Gastspiel von Elliott Sharps Oper über Walter Benjamin Port Bou zu verdanken, das im Dezember 2018 in Bonn, Duisburg und Münster Station machte – s. Gazette Januar 2019.)Köln
In der Philharmonie stehen vor dem Ende der Spielzeit noch Schnittkes Konzert für Viola und Orchester am 7., 8. und 9.7. sowie Werke von Alfred Reed und James Barnes mit der Jungen Bläserphilharmonie NRW am 7.7. auf dem Programm. In der Kunststation Sankt Peter kennt man keine Sommerpause. Am 6.7., 13.7. und 31.8. finden Lunchkonzerte statt, am 7.7. ein Orgelkonzert mit Dominik Susteck, am 12., 14. und 16.7. die orgel-mixturen und am 14.7. eine offene Fortbildung mit der japanischen Organistin Jun Sagawa. Die Musikfabrik kündigt Uraufführungen von Günter Steinke und Franz Ferdinand August Rieks am 6.7., Kompositionen von und mit Pierre Jodlowski am 14.7. und Konzerte im Rahmen der Brass Academy am 5. und 10.8. an. Im Rahmen der Brückenmusik bespielt Peter Ablinger vom 28.6. bis 7.7. den Hohlkörper der Deutzer Brücke und am 4.7. findet dort ein Konzert mit der Gruppe Nasssau statt. Beim nächsten chamber remix am 7.7. im Kunsthaus Rhenania trifft das Duo Florentin Ginot / Benoît Delbecq auf Tobias Hartmann, am 9.7. ist das Intuitive Music Orchestra mit Markus Stockhausen in der Christuskirche zu Gast und in der Alten Feuerwache kommt am 13. und 14.8. die internationale transdisziplinäre Bühnenperformance Roots & Routes zur Aufführung, ein Projekt der Landesmusikakademie NRW in Heek-Nienborg (dort bereits als Werkstattkonzert am 10.8. zu erleben). Vom 28.8. bis 1.9. findet wieder das Filmmusikfestival soundtrack cologne statt.
Viel los ist wie immer im Loft und weitere Termine finden sich bei kgnm und Jazzstadt Köln.Ruhrgebiet
Das
Dortmunder
Universitätsorchester
hebt Eva-Maria Houbens chant
du soir -
sechs
Strophen für Orchester, Berlioz abgehört aus
der Taufe. Am 10.7. ist das Werk in Witten
und am 12.7. in Dortmund
zu hören.
In
der Essener
Folkwang
Hochschule
findet vom 1. bis 8.7. die Woche der Neuen Musik statt
– u.a. mit
dem Ensemble BruCH, Akusmatik, frischen Klängen und
dem Ensemble
folkwang modern – und auch im Duisburger
Ableger erklingen am 12.7. frische Klänge. Die Jazz
Offensive Essen
kündigt neben Sessions am 4. und 11.7. ebenfalls am 11.7.
eine Tupperparty mit Avantgarde-Elektronik an und im
Rahmen des
Klavier-Festivals
Ruhr
bringt Maki Namekawa am 4.7.
in der Kokerei Zollverein ein neues Werk von Philip
Glass zur
Uraufführung.
Düsseldorf
Die 6. Klangräume Düsseldorf werden mit Stummfilm und Musik am 2.7., einem Konzert im Kanal am 5.7. und einem Konzert mit dem Via Nova Ensemble aus Weimar und dem ART Ensemble NRW am 6.7. fortgesetzt. Im Rahmen des Asphalt-Festivals spielen Markus Stockhausen und Bojan Z am 13.7. das neue Werk des Düsseldorfer Komponisten Bojan Vuletić Antlitze von Macht und Ohnmacht. In der Robert Schumann Hochschule erklingt am 19.7. Klaviermusik der Moderne und am 27.7. bieten Lasse-Marc Riek & Tobias Schmitt einen interaktiven Soundwalk und ein Konzert mit elektronischer Musik an.
Wandelweiser ist vom 30.7. bis 4.8. sowie vom 13. bis 18.8. wieder im Kunstraum zu Gast. Zwei Wochen kann man vom Vormittag bis in den Abend tief in das Wandelweiseruniversum eintauchen. In der Zeit dazwischen vom 5. bis 11.8. kuratiert André O. Möller ein spezielles Programm.sonstwo
Vom 29.8. bis 7.9. trifft die amerikanische Gitarristin Susan Alcorn im Rahmen von Soundtrips NRW in Bonn, Duisburg, Bochum, Münster, Wuppertal, Essen, Bielefeld, Düsseldorf, Köln und Aachen auf wechselnde Gäste.
Die Reihe 'Hören und Sprechen über Neue Musik' der Gesellschaft für zeitgenössische Musik Aachen widmet sich am 12.7. Roland Kayn.
Der Jour fixe der Bielefelder cooperativa neue musik befasst sich am 1.7. mit einer Klanginstallation von Marcus Beuter.
Im Bonner Dialograum Kreuzung an St. Helena ist am 30.7. Anguish, eine Mischung aus Hip Hop, Krautrock und Free Jazz, zu erleben.
Die Klangwerkstatt Detmold kündigt für den 11.7. ein Shakuhachi-Rezital an.
Das Eifel Musik- und Kunstfest lädt vom 22. bis 24.8. zu einer musikalischen Abenteuerreise. Zu den Mitwirkenden gehören Markus Stockhausen, das Minguet Quartett (mit Nonos Streichquartett Stille – an Diotima) und viele andere mehr.
Im Theater Krefeld besteht am 2. und 10.7. noch einmal die Gelegenheit, die Neuinszenierung von Peter Eötvös' Musiktheater Der goldene Drache zu sehen (s. Gazette Juni 2019).
Vom 27.7. bis 4.8. finden die diesjährigen Stockhausen-Kurse in Kürten statt. Der Eintritt zu den neun Konzerten ist frei.
Am 7.7. sind das Via Nova Ensemble Weimar und das ART Ensemble NRW im BIS Kulturzentrum in Mönchengladbach zu Gast.
In Münster erwarten uns am 3.7. in der Musikhochschule ein Schlagzeugkonzert mit Werken von Henry Cowell und Edison Denisov und am 7.7. in der Friedenskapelle ein Konzert mit dem Studio Musikfabrik. Die Black Box kündigt den Impro-Treff am 4.7. und das Trio Carrasco-Lopez / Irmer / Leahy am 30.8. an.
Das münsterlandweite Klangkunstfestival soundseeing ermöglicht auch im Juli und August vielfältige Entdeckungen: Klangkunst in Altenberge, Oelde und Hörstel, einen Praxisworkshop Experimentelles Hörspiel vom 14. bis 18.7. mit Hubert Steins, Ausstellung, Konzerte und Workshops mit Klaus Reiber am 26. und 27.7. sowie eine Klanginstallation von Paul Plamper am 23., 24. und 25.8. in Münster, Hörstel und Bocholt.
Das Ergebnis der Open Day Sessions, einer Begegnung von Londoner, Düsseldorfer und Kölner Musikern unter der Regie von Thomas Klein und Ross Downes, wird am 6.7. in einem öffentlichen Konzert im Haus der Musiker auf dem Areal der Raketenstation Hombroich in Neuss präsentiert.
Das Studio für Neue Musik der Uni Siegen kündigt für den 10.7. eine Performance aus Architektur, Licht und Musik an.
Der Wuppertaler ort geht am 4.7. mit Wisseltangcamatta in die Sommerpause und im 6. Konzert der Kantorei Barmen Gemarke stehen am 7.7. Werke von György Ligeti und Ulrich Leyendecker auf dem Programm. In der Reihe Klangart des Skulpturenparks Waldfrieden gibt es ein langes Wochenende Mitte Juli und weitere Konzerte im August.
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