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Neue
Musik, besonders die mit großem N, war und ist
noch immer eine sehr
europäische Veranstaltung. Die Namen der
Komponierenden auf den
einschlägigen Festivals muten zwar auf den ersten
Blick
international an, um aber in der Szene Fuß zu
fassen, war bzw. ist
es ratsam, sich an bestimmte Codes zu halten.
Alles was irgendwie
folkloristisch anmutet, wird skeptisch bis
geringschätzig beäugt,
und ich muss gestehen, dass ich mich selbst von
solchen Tendenzen
nicht freisprechen kann. Dabei ist es weniger die
Vorstellung, dass
die Neue Musik die bessere oder kulturell
wertvollere ist, sondern
einfach meine Erfahrung, dass schräge Klänge und
Unberechenbarkeiten bei mir ein Gänsehaut- und
Wohlgefühl erzeugen,
das gängige Rhythmen und Melodien so nicht
hinbekommen. Aber vieles
ist im Fluss und die Codes bröckeln. Im letzten
Jahr hat das Essener
Now!-Festival unter dem Motto Horizonte
den Blick über den europäischen Tellerrand hinaus
geworfen und ist
dabei überwiegend in Asien fündig geworden.
Ausgerechnet der
Abstecher nach Afrika mit Lukas Ligeti und seiner
Gruppe Burkina
Electric, die auf das Ensemble Bruch trafen, hatte
mich wenig
überzeugt. Aber die Neugier stirbt zuletzt und so
wollte ich mir das
Kölner Oluzayo-Festival,
das u.a. von eben jenem Lukas Liget kuratiert
wurde, nicht entgehen
lassen. Oluzayo ist ein Begriff aus der Sprache
der Zulu, der 'was
vor uns liegt' bedeutet und hier für ein Festival
für aktuelle,
experimentelle und zeitgenössische Musik aus
Afrika steht. Da
scheint alles möglich und gleichzeitig leben wir
in einer Zeit, in
der – kaum wurden die alten Dogmen einigermaßen
aus dem Weg
geräumt – neue Warnschilder aufploppen. Man möchte
natürlich
nicht in den seichten Gefilden der marktgängigen
Weltmusik landen
oder einem kolonialistischen Blick erliegen und
zudem lauert die
Gefahr der kulturellen Aneignung. In dieser
Hinsicht hat sich Ligeti
in einem lesenswerten Interview
in der Zeitung Noies
klar positioniert: „Solange eine Verbindung mit
Afrika da ist, ist
es unser Thema – ohne Identitätspolitik.“ Diese
Haltung zeigte
sich exemplarisch im Eröffnungskonzert mit dem Ensemble
Modern,
das vier Auftragskompositionen aus der Taufe hob,
die sich irgendwie
mit afrikanischer Musik auseinandersetzen sollten.
Von den vier
Auserwählten wurden mit Gabriel
Abedi (*1999 in Ghana) und Onche
Rajesh Ugbabe (*Nigeria) nur zwei in Afrika
geboren, wobei
ersterer in Italien aufwuchs und letzterer
indische Vorfahren hat und
in den USA ausgebildet wurde. Yang
Song
stammt aus der inneren Mongolei, studierte in
China, am IRCAM in
Paris, bei Johannes Schöllhorn in Freiburg und
später in Köln und
Michele Sanna ist Italiener, dessen Verbindungen
von Europa über die
USA bis nach Japan reichen. Puristische
Biographien sind heute kaum
noch zu haben und entsprechend vielschichtig waren
auch die
Kompositionen und ihre Bezugnahmen auf Afrika.
Onche Rajesh Ugbabe
hat sich in seinem Werk The
Ancestors Speak
die Frage gestellt, wie seine Vorfahren auf
europäischen
Instrumenten spielen würden und ließ sich dabei
von Liedern seiner
kürzlich verstorbenen Großmutter inspirieren.
Diese wandern als
freundliche Melodien durchs Ensemble, gemahnen an
asiatisch anmutende
blumige Landschaftsszenarien und bieten vor allem
friedliche Idylle.
In ähnliche Gefilde lockt Gabriel Abedi, der in Seperewa
Kasa Klang,
Textur und Spielweise des 12- bis 14-saitigen,
lautenartigen
Instruments Seperewa auf das Ensemble überträgt;
ein verspielter
tänzerischer Reigen mit tirilierender Flöte und
allem was dazu
gehört. Bei aller versuchten Aufgeschlossenheit
waren mir diese
beiden Stücke doch zu lieblich und konventionell.
Als ganz anderes
Kaliber entpuppte sich das
Werk Heterometric
Patterns
von Yang Song. Geprägt von der Obertontradition
ihrer mongolischen
Heimat ließ sie sich vom Obertongesang umngqokolo
der Xhosafrauen
aus Südafrika anregen. Gleichzeitig arbeitet sie
mit komplexen
rhythmischen Strukturen, indem sie das Ensemble in
drei
eigenständige, parallel geführte Gruppen aufteilt.
Daraus entsteht
eine vielschichtige, facettenreiche Musik, in der
die einzelnen
Ebenen manchmal aus dem Ruder laufen, sich in
chaotische Turbulenzen
verstricken und doch von unsichtbarer Hand
zusammengehalten werden.
Michele Sanna ließ sich zu seiner Factory
of illusions
von den Pygmäen inspirieren, jedoch weniger von
ihrer Musik als von
ihren Geschichten, die er in ausgesprochen farbige
und sprechende
Klänge übersetzt: schnatternde und plappernde
Blechbläser, mal von
galoppierenden Rhythmen angetrieben, mal scheinbar
auf der Stelle
tretend oder diffus schweifend, jazzige
Turbulenzen neben
hingehauchten und -getupften Geräuschexkursionen –
eine
abwechslungsreiche und spannende Klangreise, bei
der keine Langeweile
aufkommt. Unterm Strich bin ich so auf meinen
Vorurteilen sitzen
geblieben, wonach die durch die Neue-Musik-Mühle
gegangenen
akustischen Welten mir am meisten zu bieten haben.
Die
Musik der Pygmäen hat bereits György Ligeti
fasziniert, heute ist
es sein Sohn Lukas
Ligeti
der mit verschiedenen Projekten in Afrika aktiv
ist und auch an der
Ausrichtung der diesjährigen ISCM
Weltmusiktage
in Südafrika
in leitender Funktion beteiligt ist. Das Kölner
Oluzayo-Festival
kann als deren Vorspann betrachtet werden und bot
an vier Tagen ein
erfreulich abwechslungsreiches Spektrum
afrikanischer Musik.
Satch
Hoyt
begibt sich mit seinem Projekt Afro-Sonic
Mapping
auf die Spuren der afrikanischen Diaspora und
erzeugt aus Bildern,
Skulpturen, historischen Aufnahmen, Instrumenten
und Klängen aller
Art, Gefundenem und Konstruiertem eine eigene
Welt; ein forschender,
ethnologischer Ansatz, der sich aber nicht darin
erschöpft, sondern
dem Entdeckten neues Leben einhaucht. Nachdem
Hoyt, der derzeit in
Berlin lebt, einen Einblick in seine Arbeit
gegeben hatte, begab er
sich gemeinsam mit Dirk Leyers auf eine
traumwandlerische Reise, bei
der alte und neue, elektronische und live-erzeugte
Klänge sich zu
einem pulsierenden Sog verbanden, wie prickelnde
und schäumende
Meereswellen, die akustisches Treibgut anspülen,
das sich in den
Ohren verfängt und dessen man doch nicht habhaft
werden kann.
Oft
rangiert Klangkunst nur im Nebenprogramm, aber die
Triennale
in Monheim
bereitet ihr in diesem Jahr die große Bühne. Unter
dem Motto The
Sound – Sonic Art in Public Spaces
kann man noch bis zum 2.7. das kleine idyllisch am
Rhein gelegene
Städtchen umsonst und draußen mit den Ohren
erkunden. Statt von
Konzert zu Konzert zu eilen, pünktlich zu sein und
dann still zu
sitzen, muss man sich hier selbst auf den Weg
machen, sein eigenes
Tempo finden und alle Sinne öffnen – verlaufen und
durchfragen
inklusive. Kommt man von Norden, so kann man
gleich zum Auftakt mit
James
Webb
den Rhein befragen. Ganz unspektakulär und leicht
zu übersehen
(Hinweisschilder beachten) sind an drei Stellen
Lautsprecher auf den
Fluss gerichtet, aus denen Fragen dringen, die ihn
direkt und
respektvoll adressieren (der Rhein wird gesiezt!).
„Was tun Sie mit
den Dingen, die Ihnen geopfert wurden?“, „Welche
Lieder beruhigen
Sie?“ und „Was möchten Sie von uns?“ heißt es da.
Antworten
gibt es keine, in den Pausen hört man schnatternde
Enten und das
Plätschern der Wellen, man gerät rasch in den Sog
der ruhigen
Stimme, beginnt selbst nach Antworten zu suchen,
verbindet sich mit
dem Fluss, taucht ein in Raum und Zeit und kommt
schließlich bei
sich selbst an: „Was erschöpft Sie?“, „Vor wem
oder was haben
Sie Angst?“, „Was bräuchten Sie, um Ihren Lauf zu
ändern?“
Das scheint direkt an mich gerichtet.
Die
Fragen wurden teilweise gemeinsam mit Monheimer
Bürgerinnen und
Bürgern entwickelt und diese konnten auch bei
anderen Projekten
mitwirken. Anushka
Chkheidze
hat das leerstehende Gelände einer ehemaligen
Kindertagesstätte
auserkoren, um in die Kindheit einzutauchen. Sie
fragte Monheimer und
Monheimerinnen nach ihren liebsten Schlafliedern,
ließ sie diese
gleich einsingen und schuf daraus eine
elektronisch aufbereitete
Komposition, die auf wundersame Weise aus Bäumen
und Büschen
schallt. Der verlassene, leicht verwahrloste Ort,
an dem einst Kinder
tobten, macht es leicht, sich dem unprätentiösen
Singsang
hinzugeben und die verschiedenen Sprachen und
Nationalitäten tun ein
übriges, um ein Gefühl von Heimweh zu erzeugen;
Heimweh nach einer
verlorenen Welt, nach Geborgenheit, nach den
Menschen, die nicht mehr
bei uns sind.
Auch
große Namen sind in Monheim präsent, allen voran Robert
Wilson,
der den Park der Marienburg in eine Märchenwelt
verwandelt. Er
spielt mit Größenverhältnissen und lokalen
Verweisen, indem er in
der Sichtachse des historischen Gemäuers ein
Häuschen platziert, in
welchem uns eine überdimensionale Gans erwartet.
Die Gans hat in
Monheim eine lange Tradition und ist in Wappen und
Skulpturen
allgegenwärtig, doch während sie normalerweise von
der Gänseliesel
zum Schweigen angehalten wird, ist hier alles
Singen, Sprechen und
Schnattern. Nicht nur aus dem Häuschen schallt es
uns entgegen,
sondern auch aus drei Brunnen: Während unsere
Blicke sich in
goldenes und kristallenes Funkeln versenken oder
mit Engeln und
Wolken in eine imaginäre Kuppel aufsteigen,
lauschen wir
Geschichten, die die Monheimerin Ulla Hahn eigens
für Wilsons
Installation geschrieben und eingesprochen hat.
Wieder
in Rheinnähe hat John
Grzinich
seine Windharfen installiert, die je nach Wind und
Wetter
flirrend-flatternde oder filigran-metallische
Klänge von sich geben,
und ganz in der Nähe wird es vollends exotisch.
Aus einem kleinen
Wäldchen dringen seltsame Geräusche, die Chris
Watson
direkt From
the Mara to Monheim
verpflanzt hat. Masai Mara ist ein Naturreservat
in Kenia, dessen
Soundscape unter Einhaltung des originalen
Tagesablaufs übertragen
wird. Wer mag, kann sich anhand eines Zeitplans
auf die Lauer legen und Löwen, Klapperlerchen,
Aasgeier und
Elefanten aufspüren, aber das Schöne ist, dass man
nie so genau
weiß, was hier Monheim und was Mara ist und ob das
Vogelgezwitscher
aus unsichtbaren Lautsprechern oder live aus den
Bäumen kommt. Der
Dschungel ist immer und überall, in unserem Kopf
und im kleinsten
Gesträuch – wenn wir ihn nur hören wollen.
Während
man sich all das und noch vieles mehr erwandern
kann, kommt Angela
de Weijers
Collective
Signal
ungefragt zu allen. Immer samstags um 16 Uhr
vereinigen sich 12
Sirenen im Stadtgebiet, doch diesmal nicht, um vor
Katastrophen zu
warnen, sondern um uns mit einer fröhlichen
Melodie zu erfreuen, die
hallig-blechern den Stadtraum erobert. Es könnte
alles so schön
sein!
[Nopera! mit Fundstadt in Gelsenkirchen]
In
Gelsenkirchen konnte man sich auf eine Wanderung
ganz anderer Art begeben. Initiiert von NOperas!,
einer Initiative, die in der Nachfolge des Fonds
experimentelles
Musiktheater (feXm)
städte- und genreübergreifende Projekte fördert,
kooperierten
diesmal das Theater
Bremen
und das Musiktheater
im Revier.
Aber das besondere des neuen Projekts Fundstadt
waren die jungen Mitwirkenden, die sich unter der
Federführung des
Musiktheater-Kollektivs HIATUS, bestehend aus den
beiden Schweizer
Musikern Duri
Collenberg
und Lukas
Rickli
und der deutschen Theatermacherin Uta
Plate,
zusammengefunden hatten: Je drei Kinder aus Bremen
und Gelsenkirchen
waren eingeladen worden, ihrer Fantasie freien
Lauf zu lassen und
Geschichten zu kreieren, die um magische Wesen
kreisen. Vom Socken
fressenden Superhelden mit vier Händen und zwei
Krebsscheren über
ein unsichtbar in einem Karton hausendes
Glitzerwesen bis zum
katzenhaften Riesengetüm mit traurigem Gesicht ist
alles dabei und
so spektakulär müssen die fantastischen Gefährten
auch sein, denn
die Welt der Kinder ist alles andere als heil. Sie
erzählen von
Mobbing und Ausgrenzung, stillgelegten
Schwimmbädern und
lungenkranken Großvätern und auch die Wahrheit
kann es nicht
richten, denn – so philosophiert Janne - „die
Wahrheit ist nicht
immer die schönste, denn meistens ist es so, dass
die Wahrheit auch
irgendwie ekelhaft ist.“ Zu sehen und zu hören ist
all dies nicht
im vertrauten Theaterambiente, sondern das
Publikum wird mit Tablets
ausgestattet in die Stadtlandschaft gelockt und
auf eine
Schnitzeljagd geschickt. An speziellen Stationen
können kleine
Videofilme abgerufen werden, in denen uns die
Kinder durch ihre
Alltags- und Traumwelten führen und in denen sie
schließlich auf
ihre in den Theaterwerkstätten zum Leben erweckten
Fantasiegestalten
treffen. Dazwischen wandern wir durch die
Gelsenkirchener Straßen
und werden in unseren Kapuzenoutfits (zwecks
Sonnenschutz) selbst zu
Aliens. Dabei stoßen wir immer wieder auf
Gestalten und Objekte, die
mehr oder weniger eindeutig den Filmen entsprungen
sind: Kinder, die
über Verteilerkästen balancieren, Planeten, die in
Bäumen hängen,
Goldfolien, die über leere Plätze tanzen, und so
manches mehr, von
dem man nicht weiß, ob es inszeniert oder einfach
da ist. Fantasie
und Wirklichkeit, Kindheits- und Erwachsenenwelt,
filmisches und
reales Ambiente, Trauriges und Fröhliches, Bremen
und Gelsenkirchen,
alles verbindet sich miteinander zu einem in alle
Richtungen
ausstrahlenden Geflecht, in dem sich stets neue
Zusammenhänge
entdecken lassen. Etwas ins Hintertreffen gerät
die Musik, die –
man kann es kaum glauben – ebenfalls von und mit
den Kindern
komponiert wurde. Mal schallt eine Trompete aus
einem Fenster, mal
erscheint ein Gesangstrio vor der Kulisse der
terrassenartig
aufsteigenden Wohnanlage Weißer Riese, mal
erklingt eine Violine aus
einem Ladenlokal. Doch der optischen Eindrücke und
gedanklichen
Assoziationen sind so viele, dass ich das Gefühl
habe, der Musik gar
nicht gerecht zu werden.
Zum
Schluss versammeln sich alle im Foyer des MIR und
auf Feldbetten
ausgestreckt umgeben uns erneut die
unterschiedlichsten Welten: an
den Wänden die riesigen Schwammreliefs von Yves
Klein, vor uns der
weite Blick auf die Gelsenkirchener
Stadtlandschaft, aus
Lautsprechern wie ein Nachtraum Wort- und
Klangfetzen des eben
Gehörten und um uns herum wuseln wie ein riesiger
Insektenschwarm
die Kinder, bevor sie den wohlverdienten Applaus
entgegennehmen.
[Schönes Wochenende in Düsseldorf]
Offenbar
gibt es ein ungeschriebenes Gesetz, wonach
öffentlich geförderte
Konzerthäuser sich mindestens einmal in der Saison
mit
zeitgenössischer Musik befassen sollten. Auch in
der Düsseldorfer
Tonhalle fühlt man sich in der Pflicht, tut sich
aber hörbar schwer
damit. Obwohl eingeräumt wird, dass „zum Glück …
die Welt der
aktuellen Musik in den letzten Jahren
durchlässiger geworden“ ist,
glaubt man sie immer noch retten zu müssen. Ohne
falsche
Bescheidenheit wird daher das „Festival für Neue
und Neueste
Musik“, das unter dem Titel „Schönes Wochenende“
firmiert (im
Rahmen des Schumannfestes),
unter das Leitmotiv „Die Rettung“ gestellt und so
jede unterm
Sternenzelt des Mendelssohn-Saales uraufgeführte
tonale Wendung zum
Befreiungsakt stilisiert. Damit nicht genug sollte
aber in diesem
Jahr nicht nur die Musik sondern gleich der ganze
Planet gerettet
werden, weshalb vorzugsweise Komponistinnen und
Musiker mit grünem
Sendungsbewusstsein eingeladen wurden. Das führt
dann zum Beispiel
zu einem Auftragswerk, das zwar sonst nicht weiter
bemerkenswert ist,
aber immerhin neben einigen Psalmen eine Rede von
Greta Thunberg
vertont. Ansonsten wurden Ensembles präsentiert,
die an anderen
Orten schon funktioniert haben und hoffentlich
niemandem weh tun. So
zum Beispiel das achtstimmige Vokalensemble The
Present,
das bereits bei den Schwetzinger Festspielen
überzeugte und 2021
Ensemble artist in residence des ZAMUS (Zentrum
für alte Musik Köln)
war. Das Programm Ex
Utero
befasst sich mit dem Thema Mutterschaft und
verbindet Musik der
Mailänder Komponistin Chiara Margarita Cozzolani
aus dem 17.
Jahrhundert mit neueren Werken zu einer
Marienvesper. Hildegard
Westerkamp bereitet in Moments
of Laughter Aufnahmen
ihres quengelnden und johlenden Kindes
elektronisch auf und lässt
sie mit den teils ebenfalls verfremdeten Stimmen
interagieren.
Catherine Lamb stellt in pulse/shade
pulsierende und gehaltene Klänge in
nicht-temperierter Stimmung
einander gegenüber. Sie nähern sich einander an,
scheinen zu
verschmelzen und driften wieder auseinander; ein
gleichzeitig klar
strukturiertes und emotional-meditatives Werk. Das
alles lässt sich
ohne Zweifel gut anhören, nur neu oder gar neuest
ist es nicht und
gerettet wird natürlich auch niemand. Das gilt
auch für das Konzert
mit dem Brooklyn
Rider Quartet,
einem Streichquartett aus New York, das sich unter
dem Motto The
Four Elements
mit dem fragilen Gleichgewicht unseres Ökosystems
beschäftigt. Den
Elementen zugeordnet erklingen ältere Werke von
Dutilleux (Luft),
Schostakowitsch (Feuer), Golijov (Wasser) sowie
eine Bearbeitung der
American
Folk Songs
von Ruth Crawford Seeger für Streichquartett
(Erde). Hinzu kommen
zwei neuere Stücke: Hollow
Flame
von Akshaya
Avril Tucker
bezieht sich unmittelbar auf die verheerenden
Flächenbrände, die
Kalifornien in den letzten Jahren heimgesucht
haben, und durchläuft
verschiedene Aggregatzustände vom flirrenden,
filigranen Gespinst
über tiefere, dichtere Gefilde bis zum Entgleiten
in luftige Höhen.
Andreia
Pinto Correia
ließ sich von den Staubstürmen, die von der Sahara
bis zur
iberischen Halbinsel ziehen, zu ihrem Stück Aere
senza stelle anregen.
Nach einem behutsamen Auftakt brodelt und stöbert
es gewaltig, bevor
die Musik in eine diffuse Statik mündet –
erinnernd an die
Orientierungslosigkeit in einem Sandsturm, der die
Sicht auf den
sternenklaren Himmel trübt (Luft ohne Sterne).
Das
alles geschieht auf hohem Niveau und trotzdem
bleibt der Eindruck des
Etikettenschwindels. In diesem Fall sogar in
doppelter Hinsicht, denn
die Jungs aus Brooklyn, deren Konzert ohne rot zu
werden als „ein
Stück musikalischer Klimaaktivismus“ verkauft
wird, fliegen vor
lauter Sendungsbewusstsein um den halben Globus,
um ihre Botschaft
unters Volk zu bringen. Laut Tourplan ging es von
Düsseldorf in die
Türkei, dann wieder in die USA, gleich darauf für
einen Tag nach
London und sofort retour – hin und her quer über
den Atlantik!
Flugscham gehört offenbar nicht zum Repertoire.
Für
die Zukunft möchte man der Tonhalle wünschen,
einfach das Programm
zu machen, das man für gut befindet – ohne
Verbalakrobatik und
Nachhaltigkeitsanbiederungen. Es muss gar nicht
immer das Neueste
sein.
[Termine im Juli]
Köln
Am
2.7.
gestaltet Michael Denhoff
mit
seinem Cello ein Gartenkonzert, das Ensemble
Handwerk ist am 4.7. in der Alten
Feuerwache zu Gast, am gleichen Ort lässt das
Stuttgarter Trio
Pony Says am 5.7. Popkultur
auf
Neue Musik treffen und das Musikwissenschaftliche
Institut der Universität Köln feiert am 7.7.
75 Jahre elektroakustische Musik.
Die Klangkolchose
NRW ist im Juli nicht nur im Kölner Lutherturm sondern
auch in
Essen und Hilden zu erleben.
Einblicke
in die freie Szene bekommt man bei ON
Cologne und Noies,
der Zeitung für neue und experimentelle Musik in NRW. Fast
tägliche Konzerte finden im Loft
statt und FUNKT
präsentiert jeden 2. und 4. Dienstag im Monat ein
Radioformat mit
Elektronik und Klangkunst aus Köln. Weitere
Termine und Infos finden sich bei kgnm,
Musik
in Köln
sowie Veranstaltungen
mit Jazz und improvisierter Musik bei Jazzstadt
Köln.
NICA
artist development (benannt nach Pannonica de
Koenigswarter)
fördert Musiker und Musikerinnen aus NRW, die im Bereich
Jazz und
aktuelle Musik tätig sind. Am 3.,
10.,
17.
und 24.7.
stehen einige von ihnen im Stadtgarten
auf der Bühne.
Ruhrgebiet
Noch bis zum 27.8. kann man im Dortmunder U die Ausstellung Nam June Paik: I Expose the Music besuchen. Zum Begleitprogramm gehört auch ein DJ-Set am 8.7. und am 23.7. sind auf dem Vorplatz des Dortmunder U die Spacelions zu erleben, ein Dortmunder Musikkollektiv, das sich der improvisierten Erforschung von Klang(zwischen)räumen verschrieben hat.
Vom 3. bis 8.7. findet in der Folkwang Universität der Künste in Essen eine Woche der Neuen Musik statt.
Düsseldorf
Vom 11. bis 16.7. und vom 25. bis 30.7. veranstaltet Antoine Beuger wieder den sommerlichen Klangraum in der Jazzschmiede. Dazwischen, vom 18. bis 24.7., präsentiert Andre O. Möller ein von ihm kuratiertes Programm.
Sonstwo
Soundseeing, das münsterlandweite Klangkunstfestival, hat den bekannten nigerianischen Künstler Emeka Ogboh in das Kunsthaus Kloster Gravenhorst nach Hörstel eingeladen (bis 20.8.). Noch bis zum 23.7. sind in der Burg Vischering Schattenklänge von Achim Vogel Muranyi und Peter Vogel zu erleben, die Klangkunstausstellung von Albrecht Fersch in Ibbenbüren wurde bis 16.7. verlängert, am 20.7. präsentiert Michael Bradke sein Giganten-Orchester und das Metallophon in Gronau und am 30.7. eröffnet eine Licht- & Klangausstellung von Achim Vogel Muranyi im Kunstverein Münsterland in Coesfeld.
Die Aachener Gesellschaft für zeitgenössische Musik hat am 1.7. das Duo Yun/Graf zu Gast.
Der monatliche Jour fixe der Bielefelder Cooperativa Neue Musik befasst sich am 23.7. mit Sidney Corbett.
Die Bonner Gesellschaft für Kunst und Gestaltung widmet sich noch bis zum 6.8. mit der Ausstellung Strom : Klänge dem Studio für elektronische Musik der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Zum Begleitprogramm gehören im Juli ein Filmabend am 7.7., Hörstunden am 9. und 16.7. sowie Konzerte am 21. und 23.7.
Das Studio für Neue Musik der Universität Siegen veranstaltet am 13.7. einen Schlagzeugabend.
Im Abschlusskonzert des Klavier-Festival Ruhr kommt am 7.7. in der Historischen Stadthalle in Wuppertal Philip Glass' neues Klavierkonzert als Auftragswerk zur Uraufführung.
Termine mit improvisierter Musik finden sich bei NRWJazz.
Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW
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