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Februar 2025
Gewesen: Oper
The Listeners
am Aaltotheater in Essen
Angekündigt:
mex Fest in Dortmund – Pekar
von Scott Fields – grapefruits
in Düsseldorf u.v.a.m.
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[Oper The Listeners am Aaltotheater in Essen]
Nach
Kaija
Saariahos
Oper Innocence
im Musiktheater
im Revier in
Gelsenkirchen (s. Gazette
November 2024)
kann jetzt auch das Aaltotheater
in Essen eine Oper vorweisen, die sich einem zeitgemäßen
gesellschaftlichen Thema widmet: Am 25.1. hatte Missy
Mazzolis The
Listeners
als deutsche Erstaufführung Premiere. Das Werk basiert auf
einem
Libretto von Royce
Vavrek
nach
einer Erzählung von Jordan Tannahill und befasst sich mit
Phänomenen, die nicht neu aber hochaktuell sind:
Manipulation und
Missbrauch, der Wunsch nach Zugehörigkeit und die darauf
basierende
Verführbarkeit. Im Zentrum des Geschehens steht Claire,
Lehrerin,
Ehefrau und Mutter einer heranwachsenden Tochter, eine
typische,
unauffällige Vertreterin der Mittelschicht, wäre da nicht
ein
unerträglicher Brummton, der scheinbar nur von ihr
wahrgenommen wird
und ihr das Leben zur Hölle macht. Sie entfremdet sich von
ihrer
Familie, von der sie sich unverstanden fühlt, verliert ihren
Job,
nachdem sie am Arbeitsplatz aus der Rolle gefallen ist, und
gerät in
zunehmende Isolation. Die Entdeckung, dass ihr Schüler Kyle
vom
gleichen Phänomen heimgesucht wird, gerät in dieser
Situation zum
Rettungsanker, und gemeinsam schließen sie sich einer
Selbsthilfegruppe an, die unter der Leitung des
charismatischen
Führers Howard Bard Rettung verheißt. Der Brummton kann als
Sinnbild für ein tief verwurzeltes Unbehagen verstanden
werden, für
das Leiden an einer Gesellschaft, die nur vorgestanzte
Rollenmuster
bereithält und keinen Raum für Selbstentfaltung bietet. Eine
ähnliche Funktion hat der Claire zur Seite gestellte Kojote,
eine
ambivalente Figur, changierend zwischen Wildheit und
Zivilisation,
der in Essen von dem Tänzer Ivan Estegneev als stumme Rolle
verkörpert wird. Die Regisseurin Anna-Sophie
Mahler
und
ihre Bühnenbildnerin Katrin
Connan
bringen diese komplexe Ausgangssituation auf kongeniale
Weise auf den
Punkt, indem sie die zentrale Emotion Wut in den Mittelpunkt
stellen.
Als überdimensionale Leuchtschrift beherrscht das Wort
'Anger' im
ersten Akt die Bühne, umfangen von einer den ganzen
Bühnenraum
einnehmenden Naturprojektion, die uns unmittelbar in die
ursprüngliche Lebenswelt des Kojoten hineinzieht. Wenn
Claire und
das Tier sich im Labyrinth der Buchstaben umkreisen, ist die
Sehnsucht nach Nähe und Ursprünglichkeit unmittelbar
spürbar.
Die
Sekte des selbsternannten Erlösers entpuppt sich allerdings
schnell
als Sackgasse. Das Korsett ist hier noch enger geschnürt als
im
wirklichen Leben und hinter einer Fassade der Verbundenheit
und
Friedfertigkeit lauern die banalen Niederungen menschlicher
Bedürftigkeit, die Mazzoli und ihr Librettist vor allem im
zweiten
Akt allzu detailliert ausbuchstabieren. Machtstreben und
Eifersucht
erweisen sich als die wahren Triebkräfte, Kritiker werden
durch
Bloßstellung mundtot gemacht oder mutieren zum Amokläufer,
wodurch
ein Sondereinsatzkommando und eine rasende Reporterin auf
den Plan
gerufen werden. Der Guru wird als Blender und Betrüger
entlarvt und
schließlich mit vereinter Frauenpower von Claire und seiner
einstigen 'Nummer Zwei', gerade noch erbitterte
Konkurrentinnen,
entmachtet. Daraus ergeben sich spektakuläre Szenen und
Aktionen.
Die lichterschwenkenden Massen vor farbigen
Polarlichtschlieren
durchbrechen die Kitschmauer, die martialisch anmutenden
Einsatzkräfte sprengen durchs Publikum, doch der eigentliche
Kristallisationspunkt geht dabei verloren. Was eigentlich,
so frage
ich mich, ist aus der Wut geworden? Zum Schluss entdeckt
Claire, dass
sie zum Führen geboren ist, worauf sie sich selbst zur
Anführerin
erhebt. Das lässt befürchten, dass die Karten nur neu
gemischt
werden, die alten autoritären Strukturen jedoch erhalten
bleiben.
Anstatt emanzipatorische Kraft zu entfalten, droht die Wut
sich gegen
sich selbst oder gegen alte und neue Sündenböcke zu richten,
wodurch das Bestehende letztlich affirmiert wird. Als wollte
die
Regisseurin uns dieses Dilemma vor Augen führen, lässt sie
zum
Schluss 'Anger' in leicht diffusem Leuchten noch einmal über
dem
Horizont erscheinen. Dazu erstrahlen grelle Scheinwerfer,
die direkt
ins Publikum gerichtet sind. Doch ob wir hier erleuchtet
oder
durchleuchtet werden sollen, bleibt letztlich offen. Gibt es
Licht am
Ende des Tunnels oder ist es doch eher ein entgegenkommender
Zug, der
uns anbleckt, und was kann jeder selbst tun, um nicht
überrollt zu
werden?
Mazzoli
und ihr Librettist haben dazu nicht viel zu sagen, sie begnügen
sich
mit der Abbildung toxischer Gruppendynamiken. Dies spiegelt sich
auch
in einer Musik, die das Geschehen in erster Linie effektvoll
unterfüttert. Manchmal gerinnt die Musik zu einem unheimlichen
Tröpfeln, manchmal bäumt sie sich zu wuchtigen Klangwogen auf,
doch
sie bleibt stets eingängig. In den Massenszenen entwickeln sich
eindringliche Chorpassagen, am Ende der zwei Akte wird das
bedrohliche Brummen erlebbar. Durch die im Rücken des Publikums
platzierten Chorgruppen entsteht eine dichte, körperlich
spürbare
Klangwelle, die den gesamten Raum erfasst und in ein diffuses
Rauschen mündet. Doch auch hier verzichtet Mazzoli auf den
Exzess;
bevor es ernsthaft unangenehm wird, ist der Spuk vorbei.
Für
ein Opernhaus vom Format des Aaltotheaters ist ein
derartiges Werk
eine Steilvorlage, Sängerinnen und Sänger können aus dem
Vollen
schöpfen, die Essener Philharmoniker sind in ihrem Element.
Mazzoli
wird in den USA als „Brooklyn's post-millenial Mozart“
gefeiert,
hat Grammy-Nominierungen, diverse Auszeichnungen und einen
Kompositionsauftrag der MET vorzuweisen. Ihre zweite Oper Breaking
the Waves
nach Lars von Trier wurde als „eine der bisher besten Opern
des 21.
Jahrhunderts“ gelobt. The
Listeners,
ihre vierte, 2022 in Oslo uraufgeführte Oper, ist mit ihrer
hochaktuellen Thematik, ihrer packenden, zugänglichen Musik
und den
starken Bildern der Essener Inszenierung auch für Leute
interessant,
die normalerweise um zeitgenössisches Musiktheater einen
Bogen
machen. Der Essener Generalmusikdirektor Andrea Sanguineti
bringt es
mit seinen Worten auf den Punkt: „Es ist eine kluge
klangliche
Umarmung“. Damit passt das
Werk zu
der Erkenntnis, die es vermittelt: Allem Freiheits- und
Selbstverwirklichungsgetöse zum Trotz wollen die meisten
Menschen
nicht befreit sondern umarmt werden. Immerhin werden wir im
Aaltotheater klug umarmt, was man leider nicht von allen
Umarmungsangeboten behaupten kann.
[Termine im Februar]
Köln
ON
Cologne
lädt am 8.2.
zu einer Listening Session, in der Philharmonie
stehen ein 'Musik der Zeit'-Konzert mit dem WDR-Sinfonieorchester
am 8.2.
und Microcosm
von James B. Wilson am 10.2.
auf dem Programm und in der Hochschule
für Musik und Tanz
erwartet uns am 14.2.
ein Abend mit der Winterreise
von Franz Schubert und Hans Zender. Vom 12. bis 15.2.
findet Urbäng,
das Festival für performative Künste, in der Alten
Feuerwache
statt. Dort beschäftigt sich das Ensemble
hand werk
am 21.2.
mit Zenbuddhismus und Spiritualität, das Ensemble
Modern
startet am 21.2. im Wallraf-Richartz-Museum eine neue
Reihe mit Musik
und Gesprächen zum Thema 'Wie
frei ist die Kunst?'
und im Konzertraum 647
fm
erwarten uns am 2.2.
Roland Schappert, Hendrik Meyer, Numinos und Peter
Simon und am 21.2.
ein Tape Release Concert mit Ferment und Plümmo. Die Musikfabrik
ist am 22.2.
beim WDR zu Gast und lädt am 24.2.
zum Montagskonzert.
Einblicke
in die freie Szene bekommt man bei ON
Cologne
und Noies,
der Zeitung für neue und experimentelle Musik in NRW,
fast tägliche
Konzerte veranstaltet das Loft
und jeden
2. und 4. Dienstag im Monat sendet
FUNKT
ein Radioformat mit Elektronik und Klangkunst aus Köln
(mit Luís
Antunes Pena am 11.2. und patchbay am 25.2.). Weitere
Termine und Infos finden sich bei kgnm,
Musik
in Köln und impakt
sowie
Veranstaltungen
mit Jazz und improvisierter Musik bei Jazzstadt
Köln.
Ruhrgebiet
Die Bochumer Melanchthonkirche lädt am 8.2. zu einer Hommage à Éric Alfred Leslie Satie.
Das mex im Künstlerhaus in Dortmund veranstaltet am 31.1. und 1.2 . ein mex Fest und im domizil stehen The Dorf am 20.2. und das Quintett Tau 5 am 21.1. auf der Bühne. In der parzelle ist am 15.2. Pekar von Scott Fields zu Gast. In seiner „Operette, in der nicht viel passiert“ vertont Fields Texte der US-amerikanischen Underground-Comic-Legende Harvey Pekar.
Die Deutsche Oper am Rhein kombiniert Peter Maxwell Davies' Kammeroper Der Leuchtturm mit Henry Purcells Dido und Aeneas. Premiere ist am 7.2. im Theater Duisburg und zum Auftakt findet am 3.2 ein Podiumsgespräch mit Probenbesuch statt. Das neue Trio des Gelsenkirchener Gitarristen Christian Hammer kommt am 5.2. in den Steinbruch und Dominik Susteck und Michael Schultheis sind am 9.2. mit einem Orgelkonzert in der Kirche St. Ludger zu Gast. Am gleichen Tag ist Michael Schultheis mit seinen Luftlinien auch in Hamm zu erleben.
In der Folkwang Universität der Künste in Essen stehen ein Masterabschluss Neue Musik am 4.2. und das Impr%rchester am 7.2. auf dem Programm, vom 6. bis 8.2. findet in der Zeche Carl das JOE-Festival statt und im Rabbit Hole Theater erwartet uns am 7.2. Pekar von Scott Fields
Das Makroscope in Mülheim an der Ruhr kündigt u.a. ein Konzert mit den vier freien Stimmen von VocColours am 9.2. an.
Weitere Termine hält der Umlandkalender bereit.
Düsseldorf
In der Tonhalle setzt das notabu.ensemble am 12.2. seine Reihe 'Na hör'n Sie mal!' fort. Am 12.2. und 13.2. stellt sich der Schwerpunkt Visual Music des Instituts für Musik und Medien (IMM) der Robert Schumann Hochschule vor. Benannt nach Grapefruit, Yoko Onos Sammlung künstlerischer Anweisungen, befasst sich das in Düsseldorf gegründete Fanzine grapefruits aus feministischer Perspektive mit Komposition und Klangkunst. Anlässlich der aktuellen Yoko Ono-Ausstellung im K21 wird am 22.2. eine neue Ausgabe präsentiert und ein Musik- und Performanceprogramm gestaltet.
Sonstwo
Die Aachener Gesellschaft für zeitgenössische Musik widmet sich am 7.2. in der Reihe 'Hören und Sprechen über Neue Musik' mit György Kurtág und kündigt Neue Musik mit dem Klavierduo Bauerecker Stöber am 15.2. sowie aktuellen Jazz mit dem Mareike Wiening Quintett am 19.2. an.
Die Bielefelder Cooperativa Neue Musik veranstaltet am 25.2. einen Jour fixe zu Charles Ives und in der Zionskirche wird regelmäßig sonntags um 17 Uhr zeitgenössische Musik geboten – u.a. mit dem Ensemble T.ON am 16.2. und Morton Feldmans Patterns in a chromatic field am 23.2.
In der Hochschule für Musik in Detmold spielen am 3.2. Rei Nakamura und das Ensemble Earquake Werke aus der Kompositionsklasse Prof. Dr. Mark Barden und am 8.2. bringt der Kammerchor der HfM Detmold in der Pfarrkirche Heilig Kreuz Werke von Arvo Pärt und Caroline Shaw zu Gehör.
Das Krefelder Theater am Marienplatz verbindet in der neuen Spielzeit jeweils freitags um 22 Uhr Texte und Musik.
Der Trompeter Bart Maris ist neuer Improviser in Residence in Moers. Im Februar kann man ihn bei Hauskonzerten am 6. und 23.2., einer Jam-Session am 8.2. und einem Konzert im Schlosstheater am 22.2. erleben.
Zur Einstimmung auf die Monheim Triennale findet am 9.2. in der Villa am Greisbachsee in Monheim ein Gesprächskonzert mit Rojin Sharafi und Stefan Schneider Monti statt.
In der Blackbox in Münster stehen Georg Wissel und Paul Lytton am 2.2., Echtzeitkino mit tunnel & meadow und Achim Zepezauer am 7.2. und Pekar von Scott Fields am 8.2. auf dem Programm.
Das Studio für Neue Musik der Universität Siegen lädt zu einer Ausstellungseröffnung mit Musik am 3.2. und einem Jubiläumskonzert '30 Jahre Studio für Neue Musik' am 5.2. ein.
Nicht in NRW aber praktisch vor der Haustür findet vom 7. bis 9.2. Opening, das Internationale Festival für aktuelle Klangkunst, in Trier statt.
Im Wuppertaler ort stehen der cine:ort mit Live-Musik und Gespräch am 9.2. und das Trio Toxodon am 26.2. auf dem Programm und in der Reihe 'unerhört' erwarten uns am 21.2. in der Sophienkirche Annie Bloch und Emily Wittbrodt mit The Mendelssohn-Project.
Weitere Termine mit improvisierter Musik finden sich bei NRWJazz.
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