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Juli 2024
Gewesen:
Bergs
Wozzeck
in Essen – INES
von Ondřej
Adámek an der Oper Köln
Angekündigt:
Monheim
Triennale – Folkwang Woche Neue Musik – Centre Court
Festival in
Köln u.v.a.m.
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[Bergs Wozzeck in Essen]
Militarismus,
Klassismus, Femizid, Unzurechnungsfähigkeit von Straftätern,
fragwürdige medizinische Experimente – dies sind nur einige der
Themen, die Büchner in seinem Woyzeck aufgreift und die
uns
nach wie vor beschäftigen. Da erstaunt es nicht, dass das Stück
auch weiterhin auf den Bühnen präsent ist. Zurzeit steht es u.a.
in
Düsseldorf
und Bonn
auf dem Spielbahn und in Essen ist es sogar zweimal zu erleben:
Das
Grillotheater bietet mit (Making)
Woyzeck) eine freie Interpretation der Büchnerschen
Vorlage,
während im Aaltotheater am 25.5. eine aufwendige und
eigenwillige
Neuinszenierung von Bergs Oper Wozzeck
Premiere feierte. In beiden Fällen wollte man sich mit der
fatalistischen und pessimistischen Lesart des Originals und mit
der
Alternativlosigkeit von Woyzecks Tat nicht abfinden. Um ihn aus
der
eindimensionalen Opferrolle zu befreien, deutet das Regieteam um
Martin G. Berger
Wozzecks 'Verrücktheiten' in eine kreative Ressource um und
stellt
ihm drei Narren zur Seite, die das Geschehen gehörig aufmischen.
In
fantasievoller Kostümierung (Kostüme Esther
Bialas) sind sie als Tänzer (Jonas
Onny), Schauspielerin (Katharina
Brehl) und Sängerin (Bettina
Ranch) fast ständig präsent, treten direkt mit Wozzeck in
Kontakt und überreden ihn schließlich, sich ihrer
Narrensolidarität
anzuschließen und statt zum Mörder zum Narren zu werden, Daraus
entsteht eine faszinierende neue Lesart, die auf ungewöhnliche
Pfade
lockt und mich noch lange beschäftigt hat. Dass mein Daumen
trotzdem
nicht vorbehaltlos nach oben geht, liegt daran, dass die auf
allen
Ebenen wuchernden Ideen zu viel wollen und zu einer
Überfrachtung
führen, die letztlich auf Kosten von Stringenz und Stimmigkeit
geht.
Das
beginnt bereits bei der Musik: Den drei Akten werden drei von
Bergs
Sieben frühe Lieder vorangestellt und mit
expressionistischen
Gedichten aus der Entstehungszeit der Oper kombiniert. Durch den
melancholischen spätromantischen Duktus entsteht ein
kurzzeitiger
Ruhepol, der aber sofort wieder vom turbulenten Geschehen
zermahlen
wird. Wozzecks Nebenbuhler, der Tambourmajor, eigentlich ein
Prototyp
kleingeistiger und selbstverliebter tumber Männlichkeit, wird
zum
überdimensionalen Horrorclown aufgeblasen. Fast omnipräsent auf
einer Riesenleinwand (Video Tabea
Rothfuchs) verkörpert er den Mechanismus der perfiden
Verführung, Sinnbild eines kapitalistischen Systems, das in jede
private Ritze dringt, in dem alles käuflich ist und Zerstreuung
und
Unterhaltung Pflicht sind. Maries Hingabe („Meinetwegen, es ist
Alles eins!“) wird so als Selbstaufgabe entlarvt. Wiederholt
droht
sie – ganz ohne und lange vor Wozzecks Zutun – ihren suizidalen
Tendenzen zu erliegen, wird ganz konkret im letzten Moment aus
der
Schlinge gerettet. Auch das Bühnenbild (Bühne Sarah-Katharina
Karl) spielt mit dem Moment der Überwältigung. Der gesamte
Bühnenraum wird von riesigen Lichtstelen umfasst, die mal einen
Licht- und Farbrausch entfachen, mal aggressiv ins Publikum
blecken.
Wahlweise überdimensionale Räder oder Zuckerstangen gleiten vom
Schnürboden herab, wodurch die Szene vollends ins Unwirkliche
kippt,
und wann immer möglich kommen Massenszenen zum Einsatz.
Die
Narren sollen hier einen Gegenpol bilden, aber sie sind
letztlich
Teil der medialen Überwältigungsmechanerie – selbst und gerade
dann, wenn sie die Fäden in der Hand halten: In einer Szene
lassen
sie im wahrsten Sinne des Wortes die Puppen tanzen, indem sie in
einem riesigen Kasperletheater Hauptmann und Doktor als
Marionetten
vorführen. Zu dieser visuellen Überflutung kommen schließlich
inhaltliche Ungereimtheiten, denn während Büchners Schauspiel
aufgrund seines fragmentarischen Charakters Spielraum für
Interpretationen und Umdeutungen lässt, will Bergs Partitur bis
zum
letzten Ton umgesetzt werden. Eine alternative Lesart
einzuführen
ist entsprechend schwierig und so bin ich aus dem Ende auch
nicht
recht schlau geworden. Marie scheint eher versehentlich bei
einem
Gerangel zu Tode zu kommen, sitzt zum Schluss aber wie in der
Auftaktszene wieder auf ihrem schäbigen Sofa vor dem Fernseher.
Alles nur geträumt, alles nur Narrenpossen oder Halluzinationen?
Doch auch wenn der perfide Joker alias Tambourmajor vorher
bildgewaltig in Großaufnahme dahinschmilzt und Wozzeck neben
Marie
sitzend vorsichtig die Hand nach ihr ausstreckt – nach einem
Gegenentwurf fühlt sich das nicht an, eher nach Erschöpfung.
Dass
wir durch die Regie dermaßen auf Trab gehalten werden, geht
leider
auch auf Kosten der Musik, obwohl diese eine Wucht ist. Die Essener
Philharmoniker entwickeln unter dem Dirigat von Roland
Kluttig eine enorme Dichte und Präsenz, die unter die Haut
gehen
könnte, wenn sie bis dahin vordringen und nicht vorher an den
überbordenden Regieeinfällen abprallen würde. Vor allem die von
Berg sorgsam geplanten Momente des Innehaltens, in denen die Not
der
Handelnden unmittelbar spürbar wird, können sich nicht wie
gewohnt
entfalten. Mein erster Impuls beim Schlussapplaus war daher der
Wunsch, jetzt das Ganze noch einmal konzertant zu erleben; auch
um
die Sänger und Sängerinnen angemessen würdigen zu können –
allen voran Heiko
Trinsinger als kraftvoller Wozzeck, Deidre
Angenent als gebeutelte Marie, Sebastian
Pilgrim als spleeniger Doktor und Torsten
Hofmann als bräsiger Hauptmann.
Fazit:
Trotz einiger Vorbehalte, entgehen lassen sollte man sich den
Essener Wozzeck auf keinen Fall.
[INES von Ondřej Adámek an der Oper Köln]
Um
uns flüsterndes Stimmengewirr, vor uns weiße Plastiksäcke soweit
das Auge reicht, kontaminiertes Material, verstrahlte Landschaft
–
das Szenario verheißt nichts Gutes. Der Komponist Ondřej
Adámek und die Librettistin und Regisseurin Katharina
Schmitt verbinden in ihrer neuen, in enger Zusammenarbeit
entstandenen, am 16.6. in Köln uraufgeführten Oper INES
das individuelle Schicksal von Orpheus und Eurydike mit dem
globalen
Schicksal der Menschheit: Die Welt ist von einer Atomkatastrophe
verheert, E wird ihr körperlich erliegen, O seelisch.
Ausgangspunkt
dieser Assoziation waren die durch den Atomblitz auf einen
Schatten
im Asphalt reduzierten Opfer des Atombombenabwurfs von
Hiroshima, die
noch heute im dortigen Museum zu sehen sind. Auch Eurydike ist
eingegangen in das Schattenreich des Todes, aus dem Orpheus sie
befreien will, doch während der Mythos zumindest theoretisch die
Möglichkeit eines Happy Ends bereit hält (Orpheus hätte sich
einfach nicht umdrehen dürfen), ist Adámeks und Schmitts
zeitgenössische Version gänzlich von Hoffnungslosigkeit
bestimmt.
Als O die tödlich verstrahlte E im Krankenhaus besucht und sie
gegen
den ausdrücklichen Rat der Ärztin weckt, verkürzt er dadurch
zwar
ihr Leben, aber dem Tod geweiht war sie ohnehin. Man könnte auch
sagen, dass er ihr Leiden verkürzt hat – so oder so wird
Kontaktaufnahme zum Todesurteil.
Adámek
und Schmitt versuchen erst gar nicht den realen Schrecken einer
Atomkatastrophe oder den chronologischen Ablauf der Ereignisse
auf
die Bühne zu bringen. Stattdessen tauchen wir ein in die vom
Trauma
der Zerstörung und des Verlusts verwüstete Seelenlandschaft des
O.
In einer Rückblende erinnert er sich an das letzte Treffen mit E
an
ihrem Arbeitsplatz, einem Naturkundemuseum, doch schon damals
kam
keine wirkliche Begegnung zustande. Später wird er hierher
zurückkommen, doch die in Museumsvitrinen ausgestellten Tiere
und
Steine, die er im Mythos noch mit seinem Gesang zu erweichen
vermochte, treten ihm als ausgestopfte und tote Relikte einer
anderen
Welt gegenüber.
Ohne
Zweifel bildet die Oper, deren Titel sich übrigens auf die
internationale Bewertungsskala für atomare Ereignisse INES
(International Nuclear and Radiological Event Scale)
bezieht, zugute
halten, dass sie diese Trostlosigkeit und Kontaktlosigkeit
adäquat
ab. Das Libretto kennt keine Dialoge, stattdessen
fragmentarische
Äußerungen, trockene Aufzählungen (z.B. der zwischen 1952
und 2011
registrierten atomaren Störfälle) und nüchterne
Beschreibungen
(z.B. der Symptome und des Verlaufs der tödlichen
Strahlenkrankheit
durch eine Ärztin). Die Bühne (Patricia
Talacko) konfrontiert uns mit einer in
unterschiedliches Licht
getauchten Wüste aus Plastiksäcken, zwischen denen bei
Bedarf
mobile Vitrinen Szenen (Museum, Krankenzimmer) andeuten. Die
Musik
grundiert das Geschehen durch nervöses Pochen und monotones
rhythmisches Drängen, das sich gelegentlich zu Eruptionen
verdichtet, zu hohem Flirren, Sirren und Heulen kondensiert
oder mit
Schlagzeugdonner und Infusionströpfeln illustrative Momente
einflicht. Bemerkenswert ist die Konzeption der
Gesangspartien. Hagen
Matzeit
als O verfügt als Bariton und Countertenor über besondere
Voraussetzungen. Nach anfänglich gesprochenen Passagen
findet er zum
Gesang, der sich im Verlauf des Abends in immer
unheimlichere Höhen
schraubt und schließlich in direkter Bezugnahme auf Purcells
The
Cold Song in
fiebriger Erstarrung mündet – letzteres ein wirkungsvoller
wenn
auch ziemlich dankbarer Kunstgriff. Die strahlenbedingte
Zerstörung
der E, von der ebenso großartigen Kathrin
Zukowski
verkörpert, wird veranschaulicht durch ihre Aufspaltung in
drei
Doppelgängerinnen, die sich gesanglich verflechten ohne
wirklich
zusammen zu finden. Olga
Siemieńczuk,
Tara
Khorzein
und Alina
König Rannenberg
haben zudem als Girls von Hiroshima einen Auftritt, dem
ein
historischer Brief zugrunde liegt, und man weiß nicht was
gruseliger
ist: Die Vorstellung, dass von der Atombombe versehrte
japanische
Mädchen glaubten, einen amerikanischen Bomberpiloten
trösten zu
müssen (oder dazu genötigt wurden), oder der heiter
beschwingte
Gesang, den Adámek ihnen in den Mund legt. In
erzählerischen
Einschüben, die vor allem den Orpheusmythos
rekapitulieren, treten
drei Männer in Schutzanzügen auf (David
Howes, George
Ziwziwadze
und Lasha
Ziwziwadze),
wobei sich Adámek durch die Herkunft der Ziwziwadzes zu
Bezugnahmen
auf georgische sowie albanische und griechische Volksmusik
inspirieren ließ. Durch seine vielstimmige, oft nur aus
dem
Hintergrund agierende Präsenz spielt auch der Chor der
Oper Köln
eine wichtige Rolle. Gesanglich blieben somit keine
Wünsche offen
und trotzdem lag über dem fast zweistündigen Abend ein
Grauschleier
der Stagnation und Monotonie, der nicht nur dem Thema
geschuldet ist.
Adámek bedient sich nicht ohne Geschick bei der
Musikgeschichte und
betont sein Interesse an anderen Kulturen, aber seine
eigene
Musiksprache bleibt blass und entwickelt keinen eigenen
Spannungsbogen. Im weiten offenen Saal 3 des Staatenhauses
kommen die
Sänger und Sängerinnen ganz nah, sie berühren mich mit
ihrer
Virtuosität, aber die Geschichte bleibt fern.
In
Vertretung von François-Xavier
Roth stand übrigens Adámek selbst
am Pult des Gürzenich-Orchesters.
[Termine im Juli]
Köln
Vom
2. bis 5.7. befasst sich SoundTrack
Cologne mit Musik in Film, Games und Media. In
diesem Rahmen sind
am 3.7.
im Comedia Theater Nasty
Women
–
Freche Frauen im frühen Film
zu entdecken. Für die musikalische Begleitung sorgt das Ensemble
Garage.
In
der Kunststation
Sankt Peter stehen experiments
of sound affinity
mit Florian
Zwißler und
Michael Veltman
am 2.7.,
ein Konzert mit dem Gürzenich
Orchester am 4.7.
und ein Lunchkonzert am 6.7. auf dem Programm. In der
Hochschule für
Musik und Tanz wird am 3.7.
die Oper Das
Krokodil
als Abschlussprojekt für das Konzertexamen Komposition von
Simone
Cardini aus der Taufe gehoben und in der Reihe Im
Zentrum Lied wird am 4.7.
ein neues Werk von Valentin
Ruckebier uraufgeführt. Beim Chamber
Remix trifft am 7.7. die Band Hilde
auf Achim Zepezauer, die Musikfabrik
lädt am 8.7.
zum Montagskonzert und im Loft
erwarten uns u.a. das Multiple
Joy[ce] Orchestra
am 4.7.
und das Bachelorkonzert von Matti Klessascheck am 8.7.
In
der Alten
Feuerwache
steht am 6. und 7.7. Re-cognize
me 3.0,
ein interdisziplinäres Projekt mit dem Cologne
Guitar Quartet,
und vom 12. bis 14.7. die Musik- und Tanzperformance Leise
schäumt das Jetzt
mit der Akkordeonistin Eva
Zöllner
und dem Violinisten Harald
Kimmig
auf dem Programm und vom 31.7. bis 3.8. findet das Centre
Court Festival
statt, Europas einziges Rasenfestival für klangbasierte
Künste.
Einblicke
in die freie Szene bekommt man bei ON
Cologne
und Noies,
der Zeitung für neue und experimentelle Musik in NRW.
Weitere
Termine und Infos finden sich bei kgnm,
Musik
in Köln
und impakt
sowie Veranstaltungen
mit Jazz und improvisierter Musik bei Jazzstadt
Köln.
Ruhrgebiet
Das Dortmunder mex lädt am 6.7. ein zur RE:Reunion mit elektronisch modifiziertem Schachspiel nach einer Performance von John Cage.
Im Duisburger Earport wird am 14.7. die Sommerausstellung mit Performances von Bernd Bleffert, Kunsu Shim und Gerhard Stäbler eröffnet.
In der Essener Folkwang Universität erwartet uns neben der Ex Machina Werkstatt am 4.7. vom 8.7. bis 13.7. die Folkwang Woche Neue Musik. Beim treff der Gesellschaft für Neue Musik Ruhr ist am 6.7. Fredrik Rasten zu Gast und das Ensemble S201 ist am 13.7. in der Szene 10 mit einem abendfüllenden Werk von Tamon Yashima zu erleben.
Düsseldorf
Wandelweiser veranstaltet im Juli wieder zwei Klangraumwochen in der Jazz-Schmiede. Vom 9. bis 14.7. und vom 23. bis 28.7. treffen sich Menschen aus aller Welt zu intensivem Austausch. In der Woche vom 16. bis 21.7. erwartet uns ein von André O. Möller kuratiertes Programm.
Sonstwo
In der Abtei Heisterbach erklingen am 13.7. Songs of Sacred Ruins.
Die Bielefelder Cooperativa Neue Musik befasst sich beim Jour fixe am 1.7. mit dem Knopfakkordeon.
Die Bonner In Situ Art Society präsentiert am 6.7. im Dialograum Kreuzung an St. Helena in der Reihe 'The Dissonant Series' das Duo Risa Takeda und Tatsuya Yoshida und ebenfalls am 6.7. werden im Beethoven Kammermusiksaal chinesische Kompositionen für Violine und Klavier zur Uraufführung gebracht.
Vom 4. bis 6.7. findet The Prequel der Monheim Triennale statt. Dabei treffen die Signature Artists in wechselnden Formationen aufeinander.
Im Musiksaal der Universität Siegen erklingen am 18.7. neue multimediale Werke für Laptop-Orchester und Improvisationsensemble.
Weitere Termine mit improvisierter Musik finden sich bei NRWJazz.
Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW
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