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https://kulturserver-nrw.de/de_DE/gazette-neue-musik-in-nrw-ausgabe-dezember-2021Dezember 2021
Gewesen: NOW!-Festival in Essen – In
vain
von Georg Friedrich Haas in der Tonhalle in Düsseldorf
Angekündigt:
10 Jahre Ensemble Handwerk – Festival zum 90. Geburtstag von
Sofia
Gubaidulina – Musikfabrik in der HfMT u.v.a.m.
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[NOW!-Festival in Essen]
Im
letzten Jahr kam dem NOW!-Festival
auf halber Strecke der Lockdown in die Quere, so
dass das zweite
Wochenende nur online erlebbar war. Diesmal ging
alles gut und so
konnte man vom 28.10. bis 7.11. nicht nur Musik
satt hören, sondern
endlich wieder Gleichgesinnte treffen, sich
austauschen und mit einem
Glas Wein auf AHA und 3G anstoßen. NOW! gehört
nicht zu den
internationalen Speerspitzenfestivals und das hat
seine Vorteile.
Denn während man in Donaueschingen regelmäßig
erklären muss,
warum Hinz und Kunz nicht im Publikum sitzen
(wobei die
Veranstaltungen stets ausverkauft sind) und warum
nicht mit jeder
Uraufführung die Welt neu erfunden wird (obwohl
das
Fortschrittsdogma längst als imperialistisches
Folterinstrument
entlarvt wurde), kann man in Essen ganz entspannt
Musik hören, ohne
ständig nach dem Nochniedagewesenen Ausschau
halten zu müssen. Auch
das jeweilige Motto – in diesem Jahr 'Makrokosmos
– Mikrokosmos'
– ist so gewählt, dass sich niemand ernsthaft
bevormundet fühlen
muss. Stattdessen setzt man auf hochkarätige
Ensembles, einen guten
Mix aus etablierten Werken und Uraufführungen,
Spielraum für den
Nachwuchs sowie einige besondere Eye- und
Earcatcher. Gleich in drei
Konzerten kamen großformatige Orchesterwerke zur
Aufführung: Das
SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Brad
Lubman hatte mit
Beat Furrers Tableaux
I-III
und Annesley Blacks abgefackelte
wackelkontakte zwei
gerade erst in Donaueschingen uraufgeführte Werke
im Gepäck, wobei
Black mit dem wunderbar schrägen, quäkenden Klang
ihrer beiden
Solisten, einem Lupofon und einem No-Input-Mixer,
den traditionellen
Orchesterklang auf erfrischende Weise aufmischt.
Bei dem von der
Neuen Philharmonie Westfalen unter Leitung von
Johannes Kalitzke aus
der Taufe gehobenen 528
Hz
von Ying Wang trifft uns hingegen schonungslos die
ganze
auftrumpfende und überbordende orchestrale Wucht.
Da können selbst
eingeschmuggelte Herzschläge und Morsezeichen mit
Liebesbotschaften
nichts retten. Angenehm transparent und luzide
klingt das neue Werk
von Nikolaus A. Huber (mit dem
hr-Sinfonieorchester unter Baldur
Brönnimann), auch wenn seine
Aktualisierungsbemühungen (Titel
Lockdown
– Basket Music
und Gedenkfermate für George Floyd) etwas gewollt
erscheinen.
Bemerkenswert ist, wie intensiv Lachenmanns Kontrakadenz
noch nach 50 Jahren wirkt. Lachenmann war
persönlich anwesend und
seine Stücke sorgten auch in den Konzerten mit dem
Trio Catch
(Allegro
sostenuto)
und dem Quatuor Diotima (Gran
Torso)
für Gänsehautmomente. Diese Wiederbegegnungen mit
Schlüsselwerken,
die viel zu selten live gespielt werden, sind für
mich Highlights
des NOW!-Festivals. Dieses Jahr bescherte es uns No
hay caminos, hay que caminar ... Andrej Tarkowskij
und
...sofferte
onde serene ...
von Luigi Nono, Mark Andres ….selig
sind …
für Klarinette und Elektronik mit Jörg Widmann als
Solisten und
George Crumbs Makrokosmos
III – Music for a Summer Evening
mit Mitgliedern des Düsseldorfer Notabu-Ensembles.
Eine alte
Bekannte bei NOW! ist Rebecca Saunders. In ihrem
neuen Stück Hauch,
interpretiert vom Ensemble Modern, collagiert sie
in gewohnter Weise
musikalische Module, diesmal erweitert durch eine
Choreographie von
Christine Kono. Doch die Tanzsequenzen fügen dem
Werk nur wenig
hinzu, es wird getragen von feinsinnigen
Klangerkundungen, mal leise
und fragil, mal rau und fordernd, ein Kommen und
Gehen, beiläufig
und konzentriert zugleich.
Wiederbegegnung
und Erstaufführung, Nachwuchsförderung und
Eyecatcher – diese
Quadratur des Kreises gelingt mit Stockhausens Luzifers
Tanz,
der 3. Szene des Samstag
aus Licht.
Nach der Uraufführung in Mailand 1984 und der
Aufführung einer
autorisierten Fassung für Sinfonieorchester in
München 2013 kam in
Essen die ursprüngliche Version für ein
Harmonieorchester aus ca.
80 Blas- und Schlaginstrumenten zur deutschen
Erstaufführung – ein
Unterfangen, für das erstmals eine Kooperation
aller fünf
Musikhochschulen Nordrhein-Westfalens (Detmold,
Düsseldorf, Essen,
Köln und Münster) auf die Beine gestellt wurde. Da
ich weder mit
Stockhausens esoterischen Sternenflügen noch mit
seinem sogenannten
Humor viel anfangen kann, erschließen sich mir die
inhaltlichen
Implikationen nur ansatzweise. Jedenfalls bringt
Luzifer ein riesiges
Menschengesicht in Stellung, das er durch
Aufspielen der einzelnen
Partien (rechter
Backentanz,
Nasenflügeltanz)
Grimassen schneiden lässt. In der Essener
Philharmonie gelingt dies,
indem die Mitwirkenden auf den Rängen rund um den
Orgelprospekt
platziert und die jeweiligen Gruppen durch
Lichtakzente hervorgehoben
werden. Allen Vorbehalten zum Trotz, das Ergebnis
ist sowohl optisch
als auch musikalisch beeindruckend.
[In vain von Georg Friedrich Haas in der Düsseldorfer Tonhalle]
Bereits mehrfach hat das Düsseldorfer Notabu-Ensemble mit dem Ensemble Spectra aus Gent zusammengearbeitet, nun stand mit Georg Friedrich Haas' in vain ein sogenanntes Kultstück auf dem Programm. Im großen Saal der Tonhalle dirigierte Mark-Andreas Schlingensiepen die 24 Musiker und Musikerinnen des vereinten Ensembles sicher durch einen Klangrausch, dem man sich kaum entziehen konnte. Filigranes sich nervös aufschaukelndes Gekräusel erhebt sich über zunehmend dunklem Grund, verdichtet sich zu einem markanten Klang, der in einen Abgrund der Stille führt, während der Saal gleichzeitig im Dunkel versinkt – lediglich von den unvermeidlichen grün schimmerten Notausgangszeichen illuminiert. Haas macht offenbar alles richtig: Durch raffinierte Spannungsbögen gelingt es ihm mühelos, die Hörer eine gute Stunde lang bei der Stange zu halten, durch den Einsatz von Mikrotönen und durch das Spiel mit Kontrasten wird das Klanggeschehen aufgeraut und belebt, ohne jemandem weh zu tun. Selbst Leute wie Simon Rattle, die nicht im Verdacht stehen, 24 Stunden am Tag Neue Musik zu hören, können begeistert mitgehen. Rattle glaubt sogar, hier eines der ersten Meisterwerke des 21. Jahrhunderts auszumachen. Integraler Bestandteil der Partitur ist zudem eine ausgefeilte Lichtchoreographie, die in der Tonhalle besonders gut zur Geltung kommt: ein ausgeklügeltes Spiel mit Licht und Schatten, bei dem manchmal nur die Pultbeleuchtung aufglimmt oder Lichtblitze durch die Dunkelheit schießen. Zu guter Letzt stimmt auch noch die politische Botschaft: Aufgeschreckt durch den Wahlerfolg der rechtsradikalen FPÖ bei den österreichischen Nationalratswahlen 1999, der ihr bald darauf die Regierungsbeteiligung einbrachte, setzte sich Haas nicht nur mit der nationalsozialistischen Gesinnung seiner Herkunftsfamilie auseinander, sondern auch mit dem beklemmenden Gefühl der Vergeblichkeit und Ausweglosigkeit angesichts des Wiederauflebens der alten Gespenster. Dies bildet sich nicht nur im Titel ab (in vain) sondern auch in den scheinbar unentrinnbaren Klangspiralen, die wie in einem Escherschen Treppenlabyrinth auf- und abrasen ohne irgendwo hinzuführen – weshalb die Musik irgendwann unvermittelt abreißt. Bei soviel Stimmigkeit wurde es selbst Haas etwas mulmig, das Ganze sei womöglich zu schön für das Grausige, räumte er ein – zumal die Suggestivkraft der Musik die perfekten Voraussetzungen schafft, um eine Stunde lang garantiert nicht an Politik zu denken. Für mich persönlich kommt hinzu, dass mir Haas manchmal etwas zu sehr auf die Pelle rückt – mit seinem Bekenntniseifer, der sich bekanntermaßen nicht nur auf seinen politischen Hintergrund bezieht sondern auf sehr viel privatere Belange, aber ebenso mit der Sogwirkung seiner Musik. Auch meine inneren Notausgangslämpchen waren daher nicht ganz ausgeschaltet, aber genießen konnte ich den Abend trotzdem. Dafür sorgte schon die beeindruckende Leistung der Musiker und Musikerinnen, die sich weder durch Klangturbulenzen noch Dunkelheit vom Pfad abbringen ließen.
[Termine im Dezember]
Über uns brauen sich schon wieder finstere Lockdownwolken zusammen, daher unbedingt den Lagebericht checken, bevor man sich auf den Weg macht!
Köln
In
der Alten
Feuerwache
stehen Computing Music am 5.12., Das
Schweigen der Dafne
am
8.12., das Ensemble
Inverspace
am 13.12. und das ensemble
handwerk
am 19.12. auf dem Programm. In der Philharmonie
erwarten uns Musik von Rihm und Widmann am 4.12.
und Six Pianos am 20.12.
Im
Zenrum Lied
präsentiert am 1.12.
Gay
Guerilla
von Julius Eastman, als Nachschlag zum Romanischen
Sommer
ist am 11. und 12. Dezember im Filmforum NRW Moving
Picture (946-3)
mit Musik von Rebecca Saunders zu erleben, das Ensemble
Garage ist am
14.12.
im Gewölbe zu Gast und das Cologne
Guitar Quartet
kommt am 15.12. in die Kunststation
Sankt Peter.
Die Musikfabrik
spielt am 17.12.
Uraufführungen von Studierenden der Hochschule
für Musik und Tanz,
der WDR lädt am 21.12.
zum nächsten Konzert in der Reihe 'Musik der Zeit', am
29.12. findet
die nächste Soirée
Sonique
statt und beim Chamber
Remix
am 30.12. treffen sich das Syntopia String Quartet und
Dorothee
Hahne.
Fast tägliche
Events sind im Loft
(z. B. Alexander
von Schlippenbach Trio am 8.12. und Hans Peter Hiby Quartett
am
9.12.) und im Stadtgarten
(z. B. Superflat
am 13.12.)
zu erleben und jeden 2. und 4. Dienstag im Monat funkt 674.fm
Elektronik und Klangkunst in den Äther – erlebbar im
Webradio und
in Live-Sessions. Weitere
Termine und Infos finden sich bei kgnm,
Musik
in Köln
sowie ON
– Neue Musik Köln
und
Veranstaltungen mit Jazz und
improvisierter Musik bei Jazzstadt
Köln.
Ruhrgebiet
Im Kunstmuseum Bochum ist am 5.12. das Hans Peter Hiby Quartett zu Gast und die Melanchthonkirche lässt das Jahr mit Klang- und Textpassagen in der Silvesternacht ausklingen.
Am 8.12. ist das Hans Peter Hiby Quartett in der Parzelle im Dortmunder Depot, The Dorf kommt am 16.12. ins Domicil und im Konzerthaus intoniert Chorwerk Ruhr am 17.12. atmosphärische Chorwerke von Rachmaninow bis Pärt.
Das Cologne Guitar Quartet ist am 9.12. in der Essener Zentralbibliothek zu Gast und das ICEM der Folkwang Hochschule veranstaltet am 2.12. die nächste Tapesession.
Die Volxbühne in Mülheim an der Ruhr präsentiert am 3.12. Audio im Umschlag,
Weitere Termine mit aktueller Musik im Ruhrgebiet liefert der Umlandkalender.
Düsseldorf
Im NRW-Forum kommen am 1.12. Werke von Christian Jendreiko, Martin Tchiba, Christian Banasik und Karlheinz Essl zur Aufführung. Christina C. Messners Werk Das Schweigen der Dafne ist am 10.12. im Kulturbahnhof Eller zu erleben. In der Tonhalle stehen Hybrid Conversations am 11.12. und das Notabu-Ensemble am 15.12. auf dem Programm und am 19.12. moderiert Irene Kurka das Konzert 'innere und äußere Stimme'.
Sonstwo
Auf Einladung von Soundtrips NRW trifft der Schweizer Gitarrist Florian Stoffner vom 26.11. bis 7.12. an verschiedenen Orten in NRW auf wechselnde Gäste. Weitere Termine mit improvisierter Musik finden sich bei NRWJazz.
Die Gesellschaft für zeitgenössische Musik Aachen präsentiert am 2.12. Klaviermusik von Herbert Nobis.
Die Bielefelder cooperativa neue musik lädt am 6.12. zum nächsten Jour fixe und am gleichen Tag kommt das Ensemble Horizonte in die Rudolf-Oetker-Halle.
Vom 2. bis 5.12. veranstaltet die In Situ Art Society im Dialograum Kreuzung an St. Helena in Bonn ein Festival zum 90. Geburtstag von Sofia Gubaidulina. Mit dabei sind die Musikfabrik und das Asasello Quartett. Am 10.12. wird das Hans Peter Hiby Quartett erwartet und am 14.12. präsentieren der Komponist und Klangkünstler Udo Moll und die Videokünstlerin Gudrun Barenbrock ihre neueste Arbeit Superflat. Im Theater im Ballsaal widmet sich eine Klangperformance am 5.12. Frauen im Surrealismus.
Das Ensemble Horizonte spielt am 3.12. in der Martin-Luther-Kirche in Detmold Musik von Pärt und Sciarrino.
Im Mönchengladbacher Kulturzentrum BIS findet am 12.12. das nächste Werkstattkonzert mit einem Beuys Birthday Memorial statt.
In der Black Box in Münster werden das Alexander von Schlippenbach-Trio am 3.12., die Soundtrips NRW am 5.12., das Eichenberger-Studer-Duo am 11.12 und das Trio Uassyn am 16.12. erwartet. Im Theater hat am 11.12. die Rockoper Last Paradise Lost Premiere.
Am 4.12. werden im Lichtturm Solingen fünf Lichtinstallationen mit Musik für Blockflötenquintett umrahmt.
Im Wuppertaler ort stehen die Soundtrips NRW am 1.12., das Alexander von Schlippenbach-Trio am 7.12. und Schwitters Ursonate am 8.12. auf dem Programm und im Loch ist am 4.12. das Hans Peter Hiby Quartett zu Gast.
Zu den seit 2017 erschienenen Gazetten Neue Musik in NRW
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